Sonntag, 26. April 2009

Zurück zur Natur!

Lieber Kasbohm!


48 Minuten und 16 Sekunden. So lange hat es gedauert, bis ich gestern einigermaßen überwältigt auf meinem ollen Sofa vor den Lautsprechern saß. Ich musste schon nach etwa 20 Minuten eigentlich dringend pinkeln (Literflasche San Miguel) aber beim ersten Hören einer sehr guten neuen Platte müssen sich meine ableitenden Harnwege auch mal zusammenreißen. Und jetzt rutschen Sie schon ungeduldig auf Ihrem fusseligen Sessel herum und wollen wissen, was ich mir da angehört habe – gell, Kasbohm? Wie gern würde ich Sie jetzt auf kleiner Flamme schmurgeln lassen und Ihnen innere Pein bereiten (Jetzt hat er Judas Priest von 1981 gehört und WAS soll ich darauf erwidern? Scheiß Bloggerei...) 


Aber jetzt schauen Sie mal nach draußen, Kasbohm. Was sehen Sie da? Genau. Immer noch Frühling. Da bin ich Ihnen doch gut! Da hab ich Sie doch lieb! Und Sie haben auch noch vollkommen recht: es gibt Platten, die einen zu einem besseren Menschen machen. Gold von Ryan Adams (der übrigens – ohne Ihr Zutun – fast genauso aussieht wie Sie, aber deshalb mag ich den trotzdem) Astral Weeks von Van Morrison, Sticky Fingers, annähernd alles von Donny Hathaway, Stevie Wonder und Aretha Franklin, Wild Wood von Paul Weller, Pet Sounds, Born To Run von Springsteen, Spirits Having Flown von den Bee Gees, What’s Going On von Marvin Gaye, Rumours von Fleetwood Mac, Back In The High Life von Steve Winwood, Dusk von The The, London Calling von The Clash und keinesfalls Behaviour von den Pet Shop Boys, davon wird man höchstens ordentlich schwul, also passen Sie da gut auf. 


Ab heute kann man dieser Liste jedenfalls noch eine weitere Platte hinzufügen: Sometimes I Wish We Were An Eagle von Bill Callahan. Nein Kasbohm, ich habe mich tatsächlich nur ein ganz ganz ganz klein wenig vom aktuellen Rolling Stone leiten lassen und tute jetzt nicht einfach nur doof ins gleiche Horn, sondern: das ist einfach eine sehr sehr sehr gute Scheibe.


Vor allem! Wenn in illustrer Runde das Gespräch zur Musik driftet und man mal nebenbei fallen lässt, dass man sich das neue Album von Bill (wer?!) Callahan zugelegt hat, geht auch mehr bei den Mädels, bilde ich mir ein. Das wirkt bestimmt geheimnisvoll, irrsinnig eloquent und total anziehend. Klar: Bill Callahan kennt so gut wie keine Sau, der kann auch ausgewandert sein und seit Jahren indonesische Fischermusik oder litauischen Black Metal machen. Aber trotzdem besteht hier deutlich mehr Aussicht auf Fummeln, als wenn man erzählt, dass man sich die Neue von den Pet Shop Boys... ach Sie sind ja sowieso unbelehrbar, Kasbohm. 


Tatsächlich hat der Callahan Bill ein wunderbares, ja was eigentlich... Neo-Country-Folk (?) Album zusammengebastelt. Da kommt eben keine Gitarre zum Solo nach vorn, sondern ein Cello. Aha! Oder es streichen Streicher und es tuten Hörner. An den richtigen Stellen! Eine Sopranistin wiederholt ein paar Male nur ein Wort des Refrains und aus dem Hintergrund orgelt eine irgendwie, nun ja, anatolische Melodie. Fallen Sie mir nicht ins Wort Kasbohm, ich weiß selber dass das in meiner Beschreibung ganz schön Kacke klingt und weniger nach einer guten Platte. Vielmehr nach einer Kassette, die ich beim syrischen Gemüsemann zum Bündel Bärlauch als Dreingabe bekommen habe. Schon gar nicht klingt das nach Country, modernem Folk oder Americana. Aber über dieser ganzen komischen Instrumentierung und der brummigen Stimme des lieben Bills spürt man die Natur, flirrt der Staub, kreisen zwei altersschwache, ausgehungerte Geier und es riecht ein wenig nach Pferd. Kann auch Schaf sein, aber ich hab gerade das Cover neben mir liegen und da sind hübsche Gäule drauf, denen man gleich ein Stückchen Zucker geben möchte. 


Hübsch auch: der Mann macht einem ein richtig schlechtes Gewissen, wenn man sein Werk auf schnödem Plastik und nicht auf duftendem Vinyl erworben hat: nach Track 5 kommt eine 19sekündige Pause. Kann man verkünstelt nennen, aber tatsächlich besteht das Album aus zwei Seiten, mit jeweils einem adäquaten Opener und einem würdigen Ende, an dem jeweils ein Knacken erfolgen sollte, sofern man einen manuellen Plattenspieler sein Eigen nennt. Aber ich verfalle ins Faseln; dabei sind klare Worte vonnöten!


Sie gehen morgen ganz flott in einen Tonträgerladen. Dort VERLANGEN Sie (und zwar GEZIELT!) Sometimes I Wish We Were An Eagle von Bill Callahan. Das wird auch nachgeprüft und mogeln ist nicht drin. Ich will schließlich nur Ihr Bestes. Sie sind ja schon ein durchaus annehmbarer Mensch, aber Sie werden hernach ein wenig von innen leuchten. Ich hab das nun schon dreimal hintereinander gehört und kann mir unten am Hafen als Boje ein paar Mäuse hinzuverdienen. Außerdem: ein schöneres Lied als Too Many Birds wird in diesem Jahr niemand mehr schreiben. Sie müssen also keinen Schund auf blauen Dunst kaufen und sparen auch noch Geld. Was nur beweist, dass manche Platten einen nicht nur besser, sondern auch noch reicher machen. In jeder Beziehung.  


In case things go poorly and I not return, remember the good things I done.


Seine Cowboystiefel suchend, Ihr 

VDL

1 Kommentar:

markus hat gesagt…

Ach, wunderbar.
Bin mir noch nicht sicher, ob ich es riskieren kann, auch mal in dieses Album hineinzuhören. Ich lass den Zauber erst noch ein wenig nachklingen.