Montag, 20. April 2009

Tränen lügen

Ich heul ja schon, wenn bei "Breakfast at Tiffany's" der Vorspann läuft und dabei "Moon River" läuft. Mir sind schon bei "Star Trek"-Folgen die Tränen gekommen. Ich bin also ganz leicht zu manipulieren. Aber das nur am Rande. Natürlich hat die Musik von, sagen wir mal Oasis dickere Eier als die von ABC. Auf diese Feststellung würde Martin Fry sicherlich genau so viel Wert legen, wie die Gallagher-Brüder. Für die Popper war ja gerade die größtmögliche Distanz zum chauvinistischen Schwanzrock ein wichtiger Punkt. Martin Fry sagte übrigens mal "Ich war Punk, bin Punk und werde immer Punk bleiben." Womit er zum damaligen Zeitpunkt auch vollkommen Recht hatte. Wenn man Punk als radikalen Bruch mit der vorherrschenden Tradition sieht, der mit Lust und Kraft alles hinwegfegen möchte, dann waren ABC 1982 natürlich weit mehr Punk als eine Band die damals noch klang, wie die Sex Pistols 1977.

Und, bestrafen Sie mich hart, aber selbstferständlich ist es völlig gleichwertig, ob ein Klang durch das Anschlagen von Saiten auf einer akustischen Guitarre, einer elektrischen, den Druck auf die Taste eines Bechstein-Pianos oder einer Hammond B-3, eines Mellotrons, eines Moog-Synthesizeres, eines Roland-Synthesizers, einer Kirchenorgel oder eines selbstertüftelten Klangerzeugungsgeräts entsteht. Das entscheidende ist: Was für ein Klang ist das? Wie klingt er? Welche Konnotationen hat er? Was "bedeutet" er? Also "Bedeutung" in dem Sinne von: welche Emotionen ruft er hervor? Das auf der Gefühlsebene (Eier). Oder: Welche Funktion hat er in dem Stück? Das auf der Analyse-Ebene (Hirn).

Natürlich erlauben Sythesizer eine gr0ße Bandbreite von Klangmanipulationen. Aber das ist ja andererseits auch einer der wesentlichen Unterschiede zwischen Elektrischen und Akustischen Guitarren. Man hat zahllose Effektpedale und Verzerrer (und Steckdosen) und der Klang der hinten raus kommt ist natürlich längst nicht mehr der, der vorne reingekommen ist. Die elektrische Guitarre hat der akustischen den Wumms verliehen. Also die Eier. Oder eben die Illusion von Eiern. Also die Lüge von Eiern. Aber das ist okay. Das ist eben Musik. Die Erzeugung einer Illusion. Das ist ja das wunderbare. Und dafür bedient man sich des jeweils passenden Instrumentariums.

Und textlich, wo Sie das schon erwähnen, da ergreift mich eine Zeile "If you gave me a pound for all the moments I missed, and I got dancing lessons for all the lips I shoulda kissed, I'd be a millionaire, I'd be Fred Astaire" bei weitem mehr als jede Zeile die die Gallaghers aus den stinkenden Kadavern uralter Klischees und längst verstorbener Beatles- und Stones-Leichen unbegabt zusammenstoppeln. Da hab ich schon deutsche Schülerbands gehört, die bessere englische Texte schreiben. Und "Being Boring" von den Pet Shop Boys ist doch ein wunderbarer erhabener Klassiker der Melancholie. Davon gibt es übrigens auch eine sehr schöne Live-Version von Lloyd Cole. Auf einer ehrlichen Akustischen gespielt.

Und der Stuckrad hat sich für einiges zu schämen (Koks, Größenwahn, Oasis) aber mit Sicherheit nicht für die Pet Shop Boys. Da würde ich mich nicht nur auf eine Bierkiste stellen um das zu sagen. Ich würde mir im Jeckyll-And-Hyde-Park einen Turm aus Marshall-Amps bauen, ihn mit Hilfe einer Leiter aus Gibsons besteigen und es von dort oben verkünden. Trotz meiner Höhenangst.

Und Heaven 17 sind natürlich, wie die Pet Shop Boys, Human League, ABC, Haircut 100 oder Kraftwerk eine gänzlich unpeinliche Band. Selbst zu dem Kiddiepop von Duran Duran stehe ich. Peinlich sind mir da eher Rockpülatten die ich mir gen Ende meiner Schulzeit gekauft habe. Wenn hier jemand noch etwas mit Namen wie Cold Chisel oder Tom Kimmel anfangen kann, dann weiss er, wie hart meine Jugend war. Und warum ich mit solchen Klängen nach wie vor nichts zu tun haben möchte. Aus rein ästhetischen Gründen.

Und, da haben Sie natürlich vollkommen recht. Der Griff in den Plattenschrank ist natürlich genau so ein Statement wie der Griff in die Garderobe. Man sagt damit etwas über sich. Ob man das nun will, ob man das bewusst macht oder nicht. Ein Statement bleibts. Von mir noch ein kurzes Statement zu Herrn Wonder. Der hat ja schon in den frühen 70ern beschlossen keinen wirklichen Soul mehr zu machen. Ist ja auch okay, zwingt ihn ja keiner zu. Und wenn man das macht, was man möchte, dann ist das natürlich nie Verrat. Verraten kann der Künstler höchstens sich selbst. Und das würd er tun wenn er sich seine Musik von seiner Fanbase vorschreiben ließe. Denn die ist ja von jeder Änderung erstmal entsetzt. Dass Wonders Musik spätestens in den Achtzigern gänzlich unerträglich wurde liegt daran, dass er da wirklich entsetzlich schlechte Songs schrieb. Soul war das lange nicht mehr. Und die Sounds waren tatsächlich furchtbar. Was aber nicht daran lag, dass sie elektronisch waren sondern daran, dass sie scheisse waren. Überhaupt, die Achtziger. Ein generell ästhetisch schwieriges Jahrzehnt. Aber gerade für den Soul ging da gar nichts. Der vertrug sich überhaupt nicht mit dem Stil des Jahrzehnts. Was ihm ja irgendwie auch hoch anzurechnen ist. Dafür erscheinen ja jetzt seit einigen Jahren wieder gute Soulplatten.

Und, ja, Oasis haben Eier. Und Schwänze. Und das riecht man auch.

Da ist mir dann ein wohlparfümierter eloquenter Eunuch echt lieber. Aber trotzdem oder ebendrum oder wasauchimmer: Wer mich manipulieren möchte mit meiner Musik, wer tränenziehen möchte, wer mir die Illusion von Eleganz und Größe vermitteln möchte, der ist mir jeder Zeit willkommen.

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