Mittwoch, 30. Dezember 2009

Fick dich, 2009.




Ein Nachruf.

Lieber Kasbohm,


das ist mal eine Überschrift, die ein wenig von der Contenance vermissen lässt, die Sie sonst an mir schätzen, gell? Aber angemessen ist sie auf jeden Fall. Und nötig genauso.


30.000 deutsche Unternehmen pleite, Porsche unter der VW-Fuchtel, Ronald Pofalla, Guido Westerwelle und Dirk Niebel in ministerialen Würden und Frusciante steigt bei den Chili Peppers aus. Viel mehr braucht es ja eigentlich nicht, um unterm Strich festzustellen, dass 2009 ein Scheißjahr war. Oder doch? Kein Problem: Dieter Althaus mäht als Pistensau eine junge Mutter um, schafft es nicht öffentlich glaubhaft Reue zu zeigen, aber dafür im Amt bis zur Landtagswahl. Tim K. knackt den Knarrenschrank seines bis unter die Hutkrempe bewaffneten Papis und verwandelt (vermutlich mit einem bleistiftdünnen Pipimann in der Hose) im Pubertätswahn meine schwäbische Idylle in ein Schlachtfeld. Robert Enke setzt sich in Eilvese bei Hannover auf die Regionalbahngleise. Der VfB Stuttgart bleibt für Wochen im Tabellenkeller. Ich könnte noch viele Zeilen so weitermachen – und dabei bliebe mein persönliches 2009 noch unberücksichtigt. Würde ich da anfangen und weitermachen, hätte ich für Wochen im voraus zu tun. Ich will ja nicht persönlich werden und Sie mit intimen Begebenheiten langweilen, Kasbohm. Aber eine Sache steht für mich geradezu stellvertretend für den Umstand, dass mich die letzten 12 Monate dieser Dekade mal am Arsch können und zwar ganz gewaltig. Nämlich die Tatsache, dass ich meinen Porsche verkaufen musste. Nee Kasbohm – ich erwarte keinesfalls, dass Sie als Bahn- und Buspassagier nachvollziehen können, wie schwer so etwas ans Herz geht. Außerdem liegt der Verkauf meines Lieblings schon über 6 Jahre zurück. Was das dann mit 2009 zu tun hat? Nun warten Sie doch mal ab.


Zu Beginn dieses gerade ausklingenden Jahrzehntes wurde ja schon einmal eine Krise gefeiert – verglichen mit der dieses Jahres zwar ein Kriselchen, aber immerhin gab's damals auch für eine recht lange Zeit keine Jobs in der Reklamebranche. Ein gutes Jahr konnte ich das noch finanziell kompensieren, aber dann ging es ans Eingemachte. In meinem Fall ans Geparkte in der Tiefgarage; ein gutes Jahr nach 9-11 setzte ich also meinen 911 zum Verkauf ins Internet. Einer der ersten Interessenten war Jürgen Egger aus München. Ein Regisseur und Drehbuchautor (u.a. "Kleine Haie"), der sich besonders nach einem braunen Porsche umsah. Da war er bei mir richtig. Farbmusterwagen – nur einmal so lackiert – in rehbraun, Bj. 1983, Dezemberblatt im Porschekalender. Weil dieser Schlitten ein Jahr auf Porsche zugelassen war und in dieser Zeit auch mal an hohe Persönlichkeiten ausgeliehen wurde, wenn diese in Stuttgart weilten, lenkte jenen 911 u.a. auch mal Herbert von Karajan für zwei Wochen durchs Schwäbische. Stellen Sie sich hier mal einen kleinen Seufzer vor, Kasbohm.


Nun verkauft man einen alten Porsche nicht an irgendwen. Und so einen besonderen schon mal gleich gar nicht. Also war ich gottfroh, dass sich mit Jürgen Egger einer meldete, der schon in der E-Mail-Konversation deutlich machte, dass Autos für ihn weit mehr als ein Fortbewegungsmittel seien. Einige Tage nach der ersten Kontaktaufnahme schrieb er mich allerdings an und sagte freundlich ab. Er hatte die Gelegenheit, über einen Freund ein targa-Modell zu bekommen. Auch, weil seine Lebensgefährtin gerne mal oben ohne fuhr. Das las sich alles so, als wenn er eigentlich lieber meinen Wagen erworben hätte, aber was tut man nicht alles für besondere Frauen. Die Wochen und Monate vergingen jedenfalls und ich warf diverse Zeitgenossen aus meiner Tiefgarage. (Einem empfahl ich den Kauf eines Golf GTI und drohte zusätzlich kräftige Hiebe mit meinem Wagenheber an.)


Irgendwann meldete sich Jürgen Egger wieder. Das mit dem targa hätte nicht geklappt und auch auf die Gefahr hin, dass ich ihn für völlig übergeschnappt hielte, wollte er mal anfragen, ob mein 911 noch zu haben sei. Zwei Tage später setzte er sich in München in den Zug – aufgrund einer Mittelohrentzündung durfte er nicht fliegen – und kam nach Hamburg. In der Garage angekommen, stand dann ein riesiger Mann geschlagene fünf Minuten vor meinem Wagen, ehe er sich traute ihn anzufassen. Mit Augen wie ein kleiner Junge vorm Christbaum, unter dem eine Carrera-Bahn liegt. Wir verstanden uns auf Anhieb, machten eine Probefahrt (mit einem Gruß vom Getriebe, wofür er sich sofort entschuldigte) und er strich nach der Ankunft noch einmal geradezu liebevoll mit dem Finger über das Dach des Autos. »Dann machen wir mal den Vertrag fertig.« Keine Diskussionen über den Preis, keine unwürdige Feilscherei. In meiner Wohnung stand er dann relativ lange vor ein paar Sinatra-Fotos, die an meiner Wohnzimmerwand hingen. »Ich weiß«, meinte er, »dass das heute ein ganz beschissener Tag für Sie ist. Aber wenn ich mich hier so umsehe, dann merke ich, dass Sie genauso wie ich einen Sinn für besondere Dinge haben. Und ich kann Ihnen eines versprechen: der Elfer ist bei mir in den allerbesten Händen.« Er gab mir seine Visitenkarte: eine Filmproduktionsgesellschaft, die auf den Namen RAT PACK hörte und die unter seinem Namen die schönste Berufsbezeichnung trug, die ich jemals gelesen habe: Jürgen Egger. Consigliere. Solche Menschen muss man mögen. Wir unterhielten uns noch recht lange über Filme, Bücher und Musik, tranken Kaffee und qualmten meine winzige Küche zu. Dann erzählte er mir noch die Geschichte einer besonderen alten E-Gitarre, die er einem guten Freund nach einem Jahr Leihgabe aus dem Kreuz geleiert hatte und ich bekam eine weitere Bestätigung dafür, dass mein Porsche keinen besseren neuen Besitzer hätte finden können. Er meinte, es wäre zwar eine Zumutung und wollte mich eigentlich gar nicht fragen, aber er bat mich dann doch, ihm das Auto noch aus der engen und unübersichtlichen Tiefgarage heraus zu fahren. Wir verabschiedeten uns mit einem langen Händedruck und kurz vor Mitternacht des gleichen Tages bekam ich eine SMS: »Der 911 ist wohlbehalten in München angekommen. Liebe Grüße, Egger.«


Es ist gerade ein paar Tage her, da telefonierte ich mit meiner Freundin C. aus S. Weil jene junge Dame meine Liebe für Automobile teilt, erzählte ich ihr die Geschichte vom Verkauf vor ein paar Jahren und kam gleichzeitig auf die Idee, doch mal im Internet nachzuschauen, was Jürgen Egger wohl gerade so treibt. Ich klickte auf den ersten Link bei Google. Ganz oben standen zwei Zeilen. Jürgen Egger, geboren 1959 in Bamberg, gestorben am 1. Juli 2009 in München. Während des weiter laufenden Telefonates betrank ich mich ganz bewusst.


In seinem Eintrag bei Wikipedia sieht man ihn auf einem Foto mit der Gitarre, von der er mir erzählt hatte. Und in einem Nachruf einer Zeitschrift, für die er u.a. schrieb, wurde folgendes erwähnt: Wer Jürgen Egger persönlich kennenlernen durfte, wurde angenehm überrascht, dass der so messerscharf und sarkastisch formulierende Fast-zwei-Meter-Mann - nur komplett mit cooler Sonnenbrille, betagtem Porsche und zurückhaltend-sonorer Stimme - ein außergewöhnlich zuvorkommender und freundlicher, ja, geradezu höflicher Zeitgenosse war. Jürgen Egger starb am 1. Juli 2009 nach schwerer Krankheit. Er wurde nicht einmal 50 Jahre alt. Wir vermissen ihn schmerzlich. Ich hatte nur für ein paar Stunden Gelegenheit, diesen famosen Kerl kennenzulernen. Aber die haben gereicht um festzustellen, dass man im Leben gottlob immer mal wieder besondere Menschen trifft und sich daran freuen kann. Jürgen Egger war so einer. Und dass er 2009, mindestens 40 Jahre zu früh gestorben ist, passt einfach wie die Faust auf die Annalen dieses Scheißjahres.


Ich für meinen Teil trinke morgen Abend noch einmal einen Schluck auf ihn und die guten und wahren Dinge im Leben. Anschließend werde ich 2009 und die ganzen Frechheiten, die sich dieses Jahr bei mir persönlich geleistet hat, in ein dreckiges Loch kippen, allerlei Unrat und Fischabfälle darüber werfen und die letzten zwölf Monate dann einfach vergessen. Mitsamt den Adressen von einigen Gestalten, die mich viel zu lange beschäftigt haben. Bis auf Jürgen Egger werden keine Erinnerungen bleiben. Dieses Jahr hat nicht stattgefunden. Wenn mich jemand fragt, weiß ich von nichts. »2009? Da war ich gerade pinkeln.«


Ihnen ein frohes neues Jahr, Kasbohm. 2010 wird grandios. Sowas Ähnliches habe ich zwar vor einem Jahr auch schon mal gesagt, aber diesmal stimmt es.


Voraus blickend,

Ihr VDL



Dienstag, 15. Dezember 2009

Teenager und Drogen

Ich habe mich ja nun eine Weile in vornehmer Zurückhaltung geübt. Nicht aus Divenhaftigkeit sondern einfach, weil ich das Gefühlt hatte, zur Zeit nichts zu sagen zu haben. Und so viele Leute stopfen jeden möglichen Informationskanal mit den Sachen voll, die sie nicht zu sagen haben. Da wollte ich als leuchtendes Beispiel vorangehen, dem von möglichst vielen Folge geleistet werden sollte. Einfach mal die Fresse halten, wenn da eh nichts Interessantes rauskommt. Es ist nicht so, dass sich bei mir wahnsinnig viel geändert hätte. Aber ich habe mitbekommen, dass dieses Blog tatsächlich gelesen wird. Und ich will ja auch nicht unhöflich sein.

Ich habe mich gefragt, wann fing meine Äußerungsunwilligkeit eigentlich an. erstaunlicher Weise kann ich den Zeitpunkt genau benennen. Es war ziemlich exakt mit der letzten Bundestagswahl. Ich weiss nun nicht, ob die direkt etwas damit zu tun hat. Aber auf jeden Fall passt es irgendwie. Jetzt wo man nicht nur Merkel sondern auch Westerwelle jeden Tag vor Augen hat, was will man da noch sagen. Gaben die Sozen wenigstens noch in ihrer Bigotterie ein anständiges Feindbild ab, ist jetzt alles so so offensichtlich, so platt, so vorhersehbar. Die Wut ist intakt, aber das Bedürnis darüber zu kommunizieren ist weg. Es hat sich irgendwie erübrigt. Da ist einerseits der Drang, die alle in die Luft zu sprengen, weil sie mit ihrer überkommenen Ideologie (eher schon Religion) uns jeden Tag tiefer in die Scheisse reiten, andererseits möchte ich darüber nicht reden. Also wäre Wortlos in die Luft sprengen vermutlich die richtige Alternative.

Also genug davon. Der Van der Louw hat vollkommen recht, wenn er die neue Flaming Lips Platte mit der gebührenden Begeisterung lobt. Die hat sich ja auch einige böse Verrisse abgeholt. Erstaunlicher Weise wurde ihr oft vorgeworfen, anstrengend zu sein. Was sie nicht ist. Sie ist ein mit Drogen vollgepumptes Groovemonster. So wären Pink Floyd, wenn sie nicht doof wären. Man kann diese Platte vollkommen anstrengungsfrei durch die Gehirnwindungen sich schlängeln lassen. Das kitzelt vielleicht etwas, macht aber keine Mühe. Ausserdem, was sind das denn für Menschen, die sich von Platten überfordert fühlen, die anders sind, als sie erwartet haben. Musik ist ja keine Tapete. Musik, wie jede Kunst, soll einen auch gerne mal herausfordern. Und ich beneide den VDL darum, das dann auch live erlebt zu haben.

Ganz andere Musik, ähnliches Vergnügen. Die beste Duran Duran Platte, „Rio“, ist jüngst als Doppel-CD-Limited-Edition erschienen. Mit Demos und Dance-Versionen (die damals nicht gemixt wurden, sondern neu eingespielt. Länger und grooviger. Was das Erstaunliche an dieser Edition ist: Sie macht klar, dass Duran Duran eine wirklich ernsthaft gute Band waren. Die hat man ja damals nicht so richtig ernst genommen. Vermutlich weil die kleinen Mädchen sie toll fanden und sie ständig auf dem Cover der Bravo waren. Aber eine der wichtigen Lektionen ist: Was Popmusik angeht haben kleine Mädchen immer recht. Wenn man sich mal vor Ohren führt, was für Songs die Herren Rhodes. LeBon, Taylor, Taylor und Taylor geschrieben haben, als sie gerade mal zwanzig waren, kann man nicht anders als beeindruckt sein. Wenn man daneben dann die vielgeschätzten Zoot Woman hält, die ja auch gar nicht schlecht sind, aber soundmäßig eher eine Pastiche von dem sind was Duran Duran und andere in den frühen achtzigern gemacht haben, kommt man nicht umhin eines festzustellen: Wenn Zoot Woman auch nur einen Song geschrieben hätten, der vom Songwriting auch nur ansatzweise so stark wäre wie die frühen Stücke von Duran Duran, dann hätten sie dafür vermutlich ihre gesammelten Mütter und Großmütter an den Teufel verkaufen müssen. Bevor DD dann in der zweiten Hälfte der 80er in tiefste Tiefen abgestiegen sind, hatten sie nicht nur verdammt gute Songs, ein cooles Image und konnten aus ihrer Plattenfirma viel Geld rausleiern um Videos in der Karibik zu drehen, sie waren auch gute Musiker. Die Limited-CD hat zudem ein hübsches, dickes Booklet. Und im März gibt es dann das Gleiche nochmal mit dem Debüt-Album. Lohnt sich.

Soviel erstmal hierzu. Bezaubernd auch die Platte von Neil Hannon (Devine Comedy) unter dem Namen „The Duckworth Lewis Method“. Eine ganze Platte über Cricket. Muss man auch erstmal machen.

Nächstes Mal dann mehr von brennender politischer Brisanz. Oder über „Welt Kompakt“. oder was mir grad so über den Weg läuft. Ich wünsche gesegnete Vorweihnachtstage.

Freitag, 13. November 2009

In Space.



Lieber Abstinenzler Kasbohm!


Tick, Trick und Track, "Drei Mann in einem Boot", Queen ohne Freddy Mercury: Aller guten Dinge sind ja bekanntlich drei, auch wenn mir das in diesem Fall so gar nicht glatt den Schlund herunterrutschen mag. Dreimal dürfen Sie jetzt meinetwegen raten, aber Sie sind ja ein schlauer Tausendsassa und kommen sofort drauf: NATÜRLICH war unsere hier so lauschig verortete Konversations-Kolchose nicht als Ort der inneren Selbsteinkehr gedacht, sondern als gepflegte Unterhaltung. Und nun reihen sich meine blödsinnigen Beiträge von Ihnen völlig ununterbrochen aneinander, so dass unsere vier Leser schon dreimal den einen gleichen Verfasser ertragen mussten. Völlig verzweifelt habe ich ja sogar schon in Betracht gezogen, als Ihr Geistschreiber zu fungieren und mich über kasachische Kulinarik auszulassen, aber das erschien mir doch zu unredlich. Man darf sein Publikum nicht bescheißen. Wir sind ja nicht Britney Spears.


Nun ist während unserer langen Sommerpause eine ganze Menge geschehen. Themenstau sozusagen. Mon Cheri ist beispielsweise wieder da! Die Blätter fallen unablässig von den Bäumen (vermutlich Schweinegrippe – ich erkenne da Zusammenhänge). In der Opel-Kantine gibt es auch weiterhin Donuts. Merkel regiert als Juniorpartner der FDP. Oder bemüht sich wenigstens nach Kräften, so auszusehen. Irre. Man glaubt gar nicht, was in zwei Monaten so alles passieren kann. Und weiß natürlich erst recht nicht, was man zuerst besprechen soll. Am besten fährt man immer mit den wichtigsten Themen. Also solche, die die Menschen wirklich betreffen und berühren, in dieser unsicheren Zeit der Krise, der Pandemie und des Verfalls. Also. Ich habe letzten Freitag THE FLAMING LIPS gesehen.


Wie ich Ihnen gegenüber im Vorbeihuschen erwähnte, durfte ich am letzten Wochenende dem ROLLING STONE WEEKENDER am Weißenhäuser Strand an der lieblichen Ostsee beiwohnen, dort viele famose Bands und Einzelinterpreten bewundern und wie doof beklatschen. KETTCAR eröffnete den Reigen. Die gehen mir ja normalerweise recht schnell auf den Pinsel, weil der Sänger immer so singt, als läse er Möbelkataloge vor. Versmaß wie ein Telefonbuch. Und dazu brettern dann die Gitarren. Bislang ist jedes Album von denen spätestens nach dem vierten Stück bei mir aus dem Schacht geflogen. ABER! Die Songs umarrangiert, ein Streichquartett mitgebracht, Kronleuchter auf dem Boden drapiert: Das tat recht fix Wirkung. Spätestens bei "Landungsbrücken raus" war ich so ergriffen, dass ich die Kameras, die das Wochenende für eine "Rockpalast"-Folge auf Film bannten, meiden musste. Wie immer stand ich exaltiert in der ersten Reihe und die Fernsehnation hätte sich dann demnächst gefragt, ob dem Mann da vorne irgendwas wehtut. Famos! Nur die billigen Anzüge... aber man soll ja nicht kleinlich sein. Ein in meinem Gedächtnis kurzes, aber sehr lustiges Intermezzo gaben THE SOUNDTRACK OF OUR LIVES aus Schweden. Eine Kreuzung aus Joe Cocker und einem Braunbären im Kaftan als Sänger sowie ein Leadgitarrist, der per Zeitmaschine direkt von 1974 zu uns ins Jetzt geflogen kam. Stilecht mit Röhrenhose und Kawasaki-Bart. Außerdem dachte ich immer, dass nur noch bei den Scorpions eine Flying-V gespielt wird. Jedenfalls haben die ordentlich auf den Gong gehauen. Vollgas, Riff an Riff, keine Gnade. Sehr laut, sehr unterhaltsam. Ich brauchte eine Pause. Die holte ich mir bei der Lesung von Heinz Strunk, der wirklich brutal lustige Passagen aus seinem Werk "Fleckenteufel" zum Besten gab. Ich höre Sie schon, Kasbohm: Dass ausgerechnet mir dieser Fäkal- und Pups-Humor gefällt, war Ihnen klar, oder? Aber da gehe ich mal ganz nonchalant drüber weg.


Von den EDITORS sah ich nur noch den Schluss und postierte mich gleich nach dem Verklingen des letzten Akkords der britischen Mädchenträume ganz vorne an der Bühne, denn die Headliner des Freitags standen auf dem Programm. Nun muss ich erklärend hinzufügen, dass ich am letzten Freitag nur ein einziges Album der Flaming Lips besaß: "At War with the Mystics". (Hervorragend!) Außerdem wusste ich aus Erzählungen und Magazinen, dass diese Truppe eine recht exaltierte Bühnenshow zu veranstalten pflegt. Aber schon der Soundcheck war schräger, als alles was ich bislang gesehen habe. Innerhalb von fünf Minuten war die Bühne rammelvoll. Und zwar ausschließlich mit (meist dilettantisch) orange beklebt und bemaltem Equipment. Bis auf einen Fender Jazz-Bass und zwei (mit Handys und Fahrradklingeln ausgestattete) Gitarren war tatsächlich alles in der scheinbaren Hausfarbe der Lips gehalten. Ebenso ungewöhnlich wie angenehm fern jeglicher Allüren: Lips-Impresario Wayne Coyne betrat mit den Roadies die Bühne, wuselte zwischen den Verstärkern herum, überwachte das Hereinrollen der Videowand und plauderte angeregt mit dem Publikum. Ein stetig brummender Gitarrenmonitor verhinderte einen pünktlichen Anfang und mit 10 Minuten Verspätung ging es dann los. Damit Zeitgenossen, die die Flaming Lips in der nächsten Zeit noch sehen werden (ich hoffe SEHR auf ein paar Deutschland-Konzerte im kommenden Jahr) nicht der ganze Spaß genommen wird, schweige ich mich an dieser Stelle über einzelne Programmpunkte aus. Einigermaßen Eingeweihte dürfen im Kopf jetzt Häkchen setzen: Wayne Coyne im Space-Ball ++ Konfetti-Kanonen, mit denen man Kriege entscheiden kann ++ Rauch (VIEL Rauch) ++ Ballons (VIELE Ballons) ++ Eisbären ++ Gorilla ++. Insgesamt eine Veranstaltung, als wäre man auf LSD im Ikea-Bällebad. Ein übergeschnapptes Parallel-Universum, in dem rund um die Uhr Kindergeburtstag gefeiert wird. Es dauerte bis kurz nach dem Opener "Race for the Price", bis ich auch den letzten Winkel meiner musikalischen Seele vollends den Flaming Lips überschrieben hatte. Bislang hätte ich keine 20 Piepen darauf gesetzt, dass ich mit 41 Jahren nochmal zum durchgeknipsten Party-Bären mutiere und debil grinsend in einem Zelt am Ostseestrand durch knietiefe Konfetti-Fluten hopse, als hätte man mir Stromstöße verabreicht. War aber so. Womit ich allen Lesern, ja der gesamten Menschheit gar, an dieser Stelle die Flaming Lips ganz warm ans Herz legen möchte. Erstens beschäftigen die sich in ihrem Gesamtwerk stets mit den wichtigen Dingen des Lebens: Liebe, Tod, überdimensionale Hasen. Zweitens kommen sie aus Oklahoma City, wo meines Wissens niemand sonst herkommt. Drittens trägt Wayne Coyne extrem geschmackvolle Anzüge und macht überhaupt keinen Hehl daraus, dass er ein grauenhafter Sänger ist. Und viertens hören Alben und Songs der Lips auf Namen wie "Guy who got a headache and accidentally saves the world" oder "UFOs at the Zoo". Ich könnte jetzt noch zwanzig weitere Gründe aufzählen, aber verweise lieber auf einen Satz von Jürgen Ziemer (Rolling Stone): »Nur ganz große Künstler sind zu solchem Wahnsinn fähig.«


War noch was? Ach ja! Der Samstag. Wilco waren toll. Musikalisch die wohl beste Band der Welt.


Für mich noch schöner war dann allerdings der Montag. Auch für meinen Plattenverkäufer. Ich erwarb sieben Alben und eine DVD der Lips. Ich hatte noch mehr auf dem Zettel, aber das war alles, was sich im Fach befand. Der Rest ist bestellt. Übrigens ziehe ich meine unlängst getätigte Äußerung hiermit zurück: Das neue Werk "Embryonic" ist tatsächlich ganz furchtbar. Aber vielleicht fehlen mir auch bloß die richtigen Rauschmittel dafür. Gestern musste ich dennoch dem starken Drang widerstehen, mir einen Flug nach Oklahoma City zu buchen. Die Lips spielen dort zum Jahreswechsel und werden Pink Floyds "The Dark Side Of The Moon" neu interpretieren. Ein harter Verzicht. Deshalb erwarte, ja VERLANGE ich GEZIELT an Ihrem heutigen Hasenschaukelauflegeabend mindestens drei FL-Stücke. Lindern Sie meine Pein bitte mit "Free Radicals", "Fight Test" und vielleicht "Jesus shootin' Heroin". (Und wenn Sie ganz mutig sind: wie wär's mit "Aquarius Sabotage" von der neuen Platte? Aber dann landen Sie vermutlich in der MOPO. »DJ treibt Clubbesucher in den Wahnsinn! Festgenommen!«) Der Ball liegt bei Ihnen, Kasbohm. So wie auch hier, in unserem kuscheligen Heimstadion.


Wenn es für mich dann demnächst wieder "nach Ihnen" heißt, geht es aber wirklich mal nicht um Musik, sondern tatsächlich zur Abwechslung um etwas Wichtiges. Klamotten. Ziehen Sie sich warm an, Kasbohm.


Frisch entflammt durchs Universum trudelnd,

Ihr VDL

Samstag, 19. September 2009

In eigener Sache




Wenn eine Straßenbahn einmal aus der Schiene springt, kommt sie nie mehr wieder

Und wenn ein Kontrolleur dich laufen lässt, tut er das auf eigne Faust

Wer die Monatskarte hat, sollte besser nicht am Monatsanfang sterben

Und hier ist Endstation, hier geht es nicht mehr weiter, hier steigen alle aus


Komm mit mir woanders hin, ich weiß noch einen Weg

Den kann man nicht alleine gehen, und ich hab mir überlegt

Dass alles, was ab jetzt geschieht, mich nicht mehr interessiert

Wenn du darin nicht vorkommst, bitte bleib bei mir


Element of Crime – Bitte bleib bei mir

Vom Album "Immer da wo du bist bin ich nie"


Ich persönlich würde mir das Futter aus dem Sakko reißen, wäre ich fähig, solche Lyrik zu Papier zu bringen und vermutlich täte ich das auch mit allen anderen Sakkos in meinem Kleiderschrank, hätte ich wie Sven Regener eine Schar Freunde hinter mir, die in der Lage sind, aus solchen Zeilen auch noch ein ganz wundervolles Lied zu basteln. 


Element of Crime begleiten mich seit nunmehr 15 Jahren über Höhen und Tiefen. Beiderseitig, wohlgemerkt. Ich weiß auch nicht, woran das liegt, aber auf ein wenig unheimliche Art schreibt diese knarzige Combo den Soundtrack zu meinem Leben. Psycho zum Beispiel, klang 1999 irgendwie nach Aufbruch, also packte ich im gleichen Jahr meine Klamotten und verließ meine Heimatstadt. Romantik lieferte die schönste Herbstmusik, die man sich denken kann und zum gleichen Zeitpunkt, nämlich 2001, kam ich mit Sack und Pack in der deutschen Hauptstadt des regnerischen Wetters an. (Übrigens in einem braunen Auto, welches auf der ganz neuen Platte ebenfalls besungen wird. In einem Text, den ich sofort unterschreiben würde.)


Mit Mittelpunkt der Welt erschien 2005 dann eines ihrer bis dato besten Alben. Nun lebt man sein Leben ja nicht nach Musik; selbst wenn man dieser schönsten aller Künste eine große Bedeutung im eigenen Leben einzuräumen bereit ist. Aber an entscheidenden Schlüsselstellen des Daseins und vor allem der Liebe spielte Mittelpunkt der Welt in den letzten vier Jahren bei mir eine Rolle. Seit gestern gibt es nun Immer da wo du bist bin ich nie. Und ob man das nun glaubt oder nicht: diese Platte wäre nicht anders ausgefallen, hätte ich Sven Regener höchstpersönlich angerufen und angefragt, ob er ein paar Lieder schreiben kann, die zu meinem derzeitigen Leben passen. Dabei liefern Element of Crime ja gar kein Patentrezept. Sie zeigen einem bloß immer wieder auf, dass es gar nicht so schlimm ist, wenn man keines hat. Und dass man vermutlich noch nicht mal eines braucht, weil's sonst arg langweilig werden würde.


Immer da wo du bist bin ich nie ist meine Platte für diese Zeit. Ganz genau passend für die letzten Vorkommnisse, mit der richtigen Mischung aus Trost und Zuversicht. Keine Ahnung, woher der Regener weiß, was ich gerade gebrauchen kann. Aber ich wollte ja eigentlich auch nur eines sagen. Danke nach Berlin.



VDL

(Entschuldigen Sie die Unterbrechung, Kasbohm.)

Sonntag, 30. August 2009

Heute von gestern.




Alter Schwede Kasbohm!


Früher war alles besser. Nie, und ich meine wirklich niemals, habe ich meine Eltern, ja noch nicht einmal meine Großeltern diese vier Wörter sagen hören. Warum ausgerechnet ich unser digitales Poesiealbum jetzt mit diesem klischeehaften Sommerloch-Blödsinn bereichere, wollen Sie wissen? Sag ich Ihnen: ich hab gestern Springsteen gehört. Und nicht das heuer hoch gelobte Spätwerk Working on a dream (eher langweilig) oder Magic (tatsächlich langweilig). Auch nicht das tolle Devils and Dust, das verkannte Tunnel of Love oder das ewige Born to Run. Nö. Ich hab Born in the U.S.A. gehört. Und zwar rauf und runter, kreuz und quer und richtig laut. Mehrmals. So. Das bratze ich Ihnen jetzt mal so hin, Kasbohm und sogar ganz ohne rot zu werden. Wenn man es erstmal über den Classic-Rock-Radio-verseuchenden Opener geschafft hat, ist einem auch die Reputation gegenüber der Nachbarschaft Wurst. Dann wirft man sich mit Verve in Bobby Jean oder Darlington Country, schwoft mit dem Schrubber zu Cover me. Das ist natürlich nur im übertragenen Sinne gemeint, obwohl ich weiß, dass Sie mich gerne in Kittelschürze und mit Fliegenpilz-Clogs beim rockenden Hausputz erwischen würden, um mich der Lächerlichkeit preiszugeben. Doch der von unserer Hausverwaltung angeheuerte Gärtner hat die Bäume und Büsche vor meinen Erdgeschossfenstern empfindlich gestutzt und mein Leben wird zunehmend öffentlicher. Luftgitarre fällt also ab sofort flach. 


Ich frage Sie, Kasbohm (und zwar GEZIELT!): warum ist vielen Menschen, die sich damals nach Dancing in the Dark weiße T-Shirts gekauft haben, Born in the U.S.A. heute eigentlich peinlich? Wegen der Bauarbeiter-Pose? Den Röhrenjeans? Oder doch tatsächlich aufgrund der hochamerikanischen Attitüde dieses Albums? Ich bin ratlos. Schließlich ist Born in the U.S.A. eine recht famose Rock'n'Roll Platte, zu der man teilweise sogar Rock'n'Roll tanzen könnte, wenn man wollen würde. (Dabei fällt mir wieder ein, was ich Ihrem letzten Eintrag entnehmen konnte: Sie sind Tänzer?!? Nun gut. Ach ich will jetzt nicht wieder mit den Pet Shop Boys... das nutzt sich ja auch mal ab, irgendwann. Gottes Mühlen mahlen langsam, Kasbohm, nur so viel sage ich dazu.) 


Jedenfalls war früher alles besser. Das ging mir gestern so durch den Kopf, als ich den Boss durch meine Ohrmuscheln gniedeln und nuscheln ließ. Kann man ja mal machen. Geht ja, wenn man über 40 ist, erblich bedingten, partiellen Haarausfall zu beklagen und einen Schluck Bier zu viel getrunken hat. Legitim. Früher war alles besser. Ha! Auch das Hineinsteigern ist lustvoll und spaßig. In etwa bei I'm on Fire erinnerte ich mich an die Zeit, als ich besagte Platte frisch erstanden hatte. 1984 hörte ich Springsteen auf meinem klapprigen Fahrrad mit Schwalbenlenker jeden Tag und das Tolle daran war, dass mir diese (wie auch manch andere Scheibe, die ich auf diese Art konsumierte) näher und näher wurde. Damals hatten Langspielplatten ja noch u.a. als Qualitätsmerkmal, dass sie auf eine Seite einer 90er Kassette passten. Was bei Springsteen nur um wenige Akkorde Überhang der Fall war. Und wenn ich gerade so richtig in Fahrt war, konnte ich Glory Days oder No Surrender eben nicht per Knopfdruck gleich nochmal hören. Hätte man zurückspulen müssen. Ist der iPod daher eine positive Errungenschaft? Wenn Sie mich mal im Dunkeln fragen: Mitnichten. Denn aufgrund technischer Beschränkungen war man damals gezwungen, Platten in Gänze durchzuhören und konnte am Ende auch schwächeren Stücken im Gesamtwerk etwas Gutes abgewinnen. Der iPod hingegen ist zwar formschön und überaus praktisch. Trotzdem aber der Pickel am Arsch der Neuzeit, in der uns Amazon und iTunes mit 20sekündigen Probehäppchen pervertieren und einzelne Tracks von als Album erdachten Platten downloaden lassen. Durch das Internet wird Musik zur nicht enden wollenden Hitparade des Schnellkonsums. Früher war das besser. Jawohl. Ein hübscher Gedanke. Natürlich unsinnig und schematisch, aber man kann sich so schön drin suhlen wie eine glückliche Haussau auf einem Bio-Bauernhof im Besitz von Vegetariern. Doof bloß, dass sich das schlecht ausknipsen lässt, wenn man mal angefangen hat. Wie ich dann heute bemerken musste, als ich mit unserem gemeinsamen Sportsfreund SM das Samstagskaffeeritual beging. Danach der lieb gewonnene Abstecher in den Plattenladen. Unter anderem erstand ich dort schwedische Erstausgaben von Abbey Road und Rubber Soul, die Maxi-Single von All I need is everything der wunderbaren Aztec Camera (wonach ich seit Ewigkeiten gesucht habe) sowie Gloria Gaynors Never can say Goodbye als Longplayer in Mint Condition. Tja. Alles olle Platten. Warum? Weil früher... naja, wie erwähnt. 


Aber Achtung! Ebenfalls knallte ich dem Verkäufer heute etwas halbwegs Neues auf den ranzigen Verkaufstresen: Nämlich das

grandiose Cardinology von Ryan Adams & The Cardinals, streng limitiert und in herzerwärmendem rotem Vinyl. Und da schließt sich der Kreis. Nicht bei Cardinology, sondern bei Ryan Adams. Denn der hat 2001 mit Gold nicht nur die beste Platte der letzten 50 Jahre fabriziert, sondern auch sein persönliches Born in the U.S.A. in die Welt entlassen. Inklusive stark ähnelnder Covergestaltung. Gold ist deshalb so einzigartig und berauschend, weil man nach 16 Stücken so gut wie jedes, durch zeitgenössische Musik auszulösende Gefühl erlebt hat. Den Gedanken, dass alles, ja einfach alles heute, morgen oder auch übermorgen möglich ist. Das Gefühl, das der Stoff einer brandneuen Jeans auf den Oberschenkeln erzeugt. Die Überraschung, dass Oliven in einer italienischen Stadt wirklich gut schmecken können, erst recht in der Nachmittagssonne und vor allem in Gegenwart einer atemberaubenden Frau, die im Begriff ist, einem das Herz zu brechen. Ryan Adams hat nicht einfach nur ein paar Musikstücke aufgenommen. Er hat von der Morgensonne erwärmte Jalousien vorm Hotelfenster vertont, den Duft vom Meer unten am Hafen oder von Benzin an einer alten, verwitterten Tankstelle im Niemandsland. Gold blendet wie die Sonne im Hochsommer, regnet über einem ab wie ein kurzer Schauer, hüllt einen ein wie eine Decke am Feuer. Musik aus der Zeit, in der man dachte, zwei Schachteln Kippen und ein Glas zuviel würden einen niemals umwerfen, geschweige denn den nächsten Morgen vermiesen können. Mit diesem Album wird man sich wieder gewiss, dass einen höchstens die Liebe auf die schlimmsten Arten meucheln kann. Und nicht Steuerschulden, ein intriganter Abteilungsleiter oder eine verpasste Darmkrebsvorsorge. Und darum ist heute alles besser, als früher. Was genauso doof und stereotyp ist, aber tröstlicher.


Kommen wir also nunmehr zur lang erwarteten Abschlussbetrachtung dieses Themas. Früher war vieles besser. Springsteen war noch nicht 60. Peter Maffay auch noch nicht, wurde dafür aber standesgemäß und vollkommen berechtigt im Vorprogramm der Stones mit Flaschen, Dosen und Obst diverser Art beworfen. Waterboarding klang noch wie eine neue Sportart. KISS sahen noch nicht wie lackierte Mettwürste aus. Und ein VW Polo nicht wie ein neuer Golf, sondern wie vier Gartenstühle mit Karosserie drumherum. In meiner Erinnerung ist der Sommer orange mit drei hellblauen Streifen. Und hatte noch keine Löcher, jedenfalls keine so thematischen, wie dieser Beitrag heute.


Doch weil Ryan Adams über unseren Erdball strolcht und hoffentlich weiterhin jedes Jahr mindestens eine Platte produziert, ist heute die Welt ein ganzes Stück toller als sie zuvor war. Das trifft sogar auf die Zukunft zu! Jedenfalls bis morgen, wenn im Osten gewählt wird. Aber das überlasse ich jetzt mal Ihnen, Kasbohm. 


Morgen sicher nicht mehr gestrig,

Ihr VDL

Sonntag, 9. August 2009

The Last Of The Great musikalische Wahnsinnsgenies


Tja, der Jacko. Seine Musik wurde mir mit den Jahren zunehmend egaler aber er hat sich immer sehr gut um Kinder gekümmert. Das muss man ihm lassen. Die „Thriller“ fand ich damals recht toll. Habe dann nach und nach auch die früheren Sachen kennen und schätzen gelernt, erinner mich auch noch an seinen Brandunfall beim Pepsi-Spot. Der erst sehr dramatisch klang, dann weniger dramatisch und jetzt für seinen Tablettenkonsum verantwortlich gemacht wird. Körperlich und seelisch (und so vermutlich auch musikalisch) ruiniert durch Pepsi. Darauf erst mal eine Coke. Cola, nicht Linie.

Als die „Bad“ dann rauskam, fühlte ich mich ersten „zu alt“ für diese Musik (so ist man ja, wenn man jung ist. man möchte auf Teufel komm raus erwachsen sein. Später weiss mans dann besser) und zweitens war ich auch irre enttäuscht als ich sie hörte. kaum noch gute Songs und eine schauderhafte, unsoulige Produktion. Nur „Liberian Girl“ fand ich super. (Ich will übrigens immer „Librarian Girl“ schreiben. Auch ein schönes Thema. Was mich wieder an das großartige Stück „Karen“ von den Go-Betweens erinnert. In dem geht es um eine Bibliothekarin. Bibliothekaren. Hihi. Ich verliere den Faden...). Und „I just can’t stop loving you“ war auch noch okay. Das andere klang alles so, hm, kalt. Was ja nicht prinzipiell schlecht ist. Bei Karftwerk ist es zum Beispiel super, wenn sie „kalt“ klingen. Oder bei My Bloody Valentine. Aber nicht bei Jackson. Sicher ein absoluter Tiefpunkt in dem Schaffen von Quincy Jones. Aber die 80er waren ja generell ein ganz schwieriges Jahrzehnt. Insbesondere für Soul.

Seine späteren Platten hab ich dann kaum noch angefasst. Die Singles fand ich doof, die Produktion hat mich genervt, aber ich bin mir sicher, dass er auch da noch auf jeder Platte ein bis zwei gute Stücke geschafft hat. Er hat zwar weitgehend den Bezug zu Realität verloren, aber das Talent war nicht vollkommen ausgelöscht. Auch wenn es alles immer mehr in den Hintergrund geriet. Danke, Pepsi. Aber ich war ja eh immer mehr für Prince.

Vor gut 10 Jahren erzählte der wunderbare Paddy McAloon von Prefab Sprout mal in einem Interview, dass er an einem Songzyklus über Michael Jackson arbeitet, weil ihn die Figur so fasziniert. Die Überhöhung, die Künstlichkeit, die Tragik. Das würde mich mal sehr interessieren. Liegt bestimmt irgendwo bei McAloon im Schrank und er hat kein Bock es zu veröffentlichen. Neulich sagte er, er befindet sich gerade in einer Brian-Wilson-Phase. Nur ohne Doktor und ohne Psychopharmaka. Und vermutlich auch ohne Sandkiste. Aber, ich werde nicht müde zu betonen: Paddy McAloon ist vermutlich das letzte echte, noch „funktionierende“ Genie der Popwelt.

Eines der anderen Projekte, von dem er vor 10 Jahren sprach war „Lets change the world with Music: the Blueprint“. Ein großartiger Titel. Und erscheint jetzt im September. Und ich kann euch sagen: Auch diese Platte ist wieder ein Monument von überbordender Schönheit und Liebe. Außerdem sind da Titel drauf mit so schönen namen wie „The Last of the great Romantics“ und „Earth: The Story so far“. Vor allem letzteren finde ich ja absolut größenwahnsinnig und phantastisch.

Paddy McAloon bzw Prefab Sprout haben mich ja vor vielen Jahren für immer eingefangen als sie ihre kurze Radiohitphase hatten. Da lief dann halt immer „Cars and Girls“ im Radio und ich hab das erstmal so gehört, wie man Radio hört. Nebenbei, nicht weiter drauf geachtet. Und dann hab ich irgendwann festgestellt, dass die Refrainzeile ist: „Some things hurt more, much more than cars and girls“. Und ich wusste: Dies hier ist kein Chartsfutter, dies ist kein Lebloses Produkt, dies ist große Kunst. Intelligenz. Wahre Lyrik. Zu schlau und zu sensibel um lange eine große Nummer im „Geschäft“ zu sein. Aber dafür inzwischen eine Karriere mit vielen großen Meisterwerken und einer echten Jahrhundertplatte. „Steve McQueen“. Wenn man seine Platte schon so nennt muss man ein Guter sein. Einer von uns. Bloß besser.

So jetzt erstmal genug der Heldenverehrung. Ich fülle mir jetzt die Badewanne mit Eiswürfeln und versuche mich vor der schwülen Hitze zu verdrücken.

Einen guten,

aka

Sonntag, 19. Juli 2009

Tschüss Jacko.



Lieber Pop-Freund Kasbohm.


Jetzt habe ich mich tage- ja mittlerweile wochenlang gefragt, ob wir dies nun tun sollen, oder nicht. Lassen wir uns über Michael Jackson aus oder überlassen wir das allen Anderen? Den Gazetten, TV-Sendern, Radio-Stationen, Internet-Bloggern, Sandwich-Männern und -Frauen, Handzettelverteilern? Ich finde: nein. Man hat Verantwortung. Und hinter uns liegt schließlich nicht der Tag, an dem Conny Kramer starb, sondern die Nacht, in der Michael Jackson das Zeitliche segnete. Also los. Je eher daran, je eher davon sagt man ja hier im Norden. 


Michael Jackson ist tot. Und wenn man sich in die Reihe derer stellt, die ihm jetzt noch etwas hinterherrufen wollen, ist das weitaus schwieriger, als beispielsweise bei Joe Strummer. (Doller Kerl, klasse Musik, verdammt schade.) Bei Michael Jackson kann man das alles nicht beurteilen, ohne dass man den Freak dahinter sieht. Den Typen mit dem Affen, dem Sauerstofftank, der mysteriösen Hautkrankheit. Dem König des Sackgreifens mit einer verhängnisvollen Vorliebe für Micky Maus, Narkotika und kleinen Jungs. Ist dieser Trümmerhaufen von Leben eigentlich trennbar von der Musik des Künstlers? Ich habe das gestern Abend in einem Selbstversuch getestet und mir persönlich ist das nicht gelungen. Nun war ich – trotzdem ich die wirklich wichtigen Platten des Verblichenen besitze – nie ein enger Anhänger Michael Jacksons, sondern habe mir das immer mit einigem Abstand angeschaut. 


Auch wenn ich grauenhaft wenig Talent für Zukunftsprognosen und Trends besitze, hatte ich schon bei Thriller irgendwie so ein komisches Gefühl. Jacko war mir immer zu spackig, zu schmalzig, zu überproduziert. Amerikanisches Plastiktheater ohne Substanz, nur bestehend aus bunten Kulissen. Das Disneyland der Musik. Der Motown-Soul mit den letzten Pubertätspickeln hinfort gepflegt. Dennoch ging ich Jackson irgendwann in die Falle und ich befinde mich damit noch nicht einmal in schlechter Gesellschaft. Selbst Quincy Jones wurde in den Sog gerissen und musizierte sich wenig später mit ein paar eigenen Platten um Kopf, Kragen und Reputation. Stevie Wonder ging Jackson auf den Leim und zeitweise musste man annehmen, dass dieser Gigant neben dem Augenlicht mittlerweile einen weiteren seiner körperlichen Sinne verloren hatte. Darüber hinaus saß mit MJ in der Achterbahn alles, was im Amerika des Mainstreams musikalischen Rang und Namen hatte. Die versammelte Musikbeamten-Truppe von Toto, Greg Phillinganes, Nile Rodgers und Paulinho daCosta. Angesichts dessen, was so am Ende geschah, würde man Michael Jackson heute nur allzu gern auf die Jackson Five und das Apollo, auf Off the Wall und natürlich Thriller reduzieren. Letztere in der Tat recht gute Pop-Platten der End-70er und 80er. Wirklich durchgängig herausragend war ein Michael Jackson Album aufgrund der obligaten Schnulzen schließlich nie. Aber immer gut für ein paar ganz famose, vermutlich ewige Knaller des Dancefloors. Über Billy Jean und Beat it muss niemand mehr diskutieren. Trotzdem habe ich Jackson vernachlässigt und mir Bad erst zugelegt, als die Platte im Laden längst verramscht wurde.


Bis Dangerous erschien. Nein, Kasbohm. Ich trage meine Hosen seit jeher dort wo sie hingehören und nicht um die Kniekehlen. Wiewohl ich Hip-Hop im Großen und Ganzen auch ziemlich bescheuert finde. Was mir an Dangerous jedoch wirklich gefiel, war die Kompromisslosigkeit. Die ersten drei Stücke mit einem ziemlich knüppeltrockenen Beat hinterlegt, kuschelte sich Jackson erfolgreich bei der damals zeitgenössischen schwarzen Musik an. Äußerlich auf dem Weg zum Alpinaweiß mittlerweile Milchkaffeebraun, gelangen ihm einige seiner besten Songs. Tanzen konnte er immer noch atemberaubend. Und In the Closet war wohl tatsächlich das letzte Video, in dem er wenigstens noch halbwegs als Mann durchging. Monatelang schlich ich um diese Platte herum, traute mich aber nicht, das Ding zur Kasse zu tragen. Auskoppelung folgte auf Auskoppelung und bei Ray Cokes Video auf Video. Erst als der ganze Hype vorbei war, schnappte ich auf dem Flohmarkt tatsächlich doch zu. Und ärgere mich heute noch, dass ich die DeLuxe-Version nicht erwarb, bei der sich das Cover in schwarzem Karton dreidimensional auffalten ließ. Kriegt man natürlich doof in den Plattenschrank, wäre heute aber ein Kleinod. Ich persönlich lege mich mal fest: Wenn man Heal the World, Will you be there und Gone too soon außer Acht lässt, bietet Dangerous bei insgesamt 14 Tracks die beste Bilanz seiner bisherigen Platten. Tja Kasbohm – Michael Jackson für Dangerous, anstatt für Thriller gut zu finden, soll mir erstmal einer nachmachen. 


Der Abend, der meine letzte Runde mit Jacko einläutete, begann (in Ermangelung einer noch geöffneten Videothek) vor dem Fernseher bei Wetten dass. Schon damals war die Sensationslüsternheit größer, als die Frage wie ein neues Stück von Jackson wohl klingen würde. Würde ihm vor versammelter Mannschaft die Nase abfallen? Oder würden laufende deutsche Kameras pikante Details einfangen können; vielleicht den Rand eines T-Shirt-Ärmels, so dass offensichtlich werden würde, dass sonst sorgsam verdeckte Körperteile noch schwarz wären? Zu Beginn des Auftrittes fühlte ich mich bestätigt. Jackson. Die Lusche. Kinderlied. Als er dann allerdings auf den Kran stieg, war ich ziemlich platt. Für meine Verteidigung gebe ich zu Protokoll, dass Gospel-Chöre immer wirksam sind, wenn man eine tiefe Liebe zum Soul in den Genen trägt. Ich kaufte mir History, aber nachdem ich das Booklet mit all den skurillen und höchst fragwürdigen Inhalten durchgeblättert hatte, war der Sack für mich zu. Ich gab auf und legte Jacko zu den Akten. Jahre später gab es für Invincible im Rolling Stone dann als Bewertung nicht nur lediglich EINEN von fünf Sternen (Rufmord), sondern obendrein mitten im Text eine Formulierung, die ich so nie wieder in diesem Magazin gelesen habe: »Alles Scheißdreck.« Und Arne Willander hatte damit auch noch vollkommen recht. Der hinlänglich bekannte Rest ist Entsetzen.


Nun also das Comeback. Denn auch wenn das geschmacklos klingen mag, ist das Ableben Michael Jacksons wohl kaum etwas Anderes als das. Der Beginn einer Phase, in der man sich wieder mit dem Künstler und seiner Kunst beschäftigt, selbst wenn man vor zwei Monaten, von purer Langeweile verzweifelt, noch eher eine Jamiroquai-Compilation erworben hätte, anstatt sich Bad zuzulegen. Heuer darf man ungehemmt und ungestraft in Erinnerungen schwelgen, Wanna be startin something (verdientermaßen) über den Klee loben und behaupten, sich nimmer negativ über den König der Populärmusik ausgelassen zu haben. Wie lange nach dem Ende einer desaströsen Liebe, verklärt die Zeit die Erinnerung. Es war nicht alles schlecht. Sogar vieles gut. Nur die Geschwindigkeit, mit der dies bei Michael Jackson vollzogen wurde, versaut ein wenig den Geschmack. Keine halbe Stunde nach dem letzten Schnaufer starb der Kindergrabscher und der King of Pop begann sein ewiges Leben. Sogar die schwarze Gemeinde vereinnahmt Jackson nun schamlos ohne Vorbehalt und Al Sharpton verleiht dem Verstorbenen den Titel des Wegbereiters für das erste schwarze Präsidialamt. Und so wird ein Individuum, welches sich zeitlebens von seinen Wurzeln zu befreien versucht hat, im Handstreich wieder auf den Boden der Community zurückgeholt, während sich Papa Jackson aus der Hinterlassenschaft Schmuck in Form goldener Schneeketten um den Hals hängt. Sowieso die Familie. Angesichts des Momentes, als Tochter Paris zur öffentlichen Trauerarbeit vors Mikro gezerrt wurde, drängt sich einem die Annahme auf, dass Jackson ein wenig froh war, in diesem Brotdosen-Sarg zu liegen und der Verwandtschaft entflohen zu sein. Jemand, der mit einem einzigen Kotelett in der Hand, mitten in der Wildnis vor einer Bande mies gelaunter Hyänen steht, wird sich möglicherweise noch eher gut aufgehoben fühlen. 


Was bleibt also? Auch wenn's keiner zugibt: Mitgemacht haben irgendwann doch alle wenigstens für fünf Minuten. Annähernd jeder Mensch auf dieser Kugel hat seinen persönlichen Michael-Jackson-Moment. (Ja, auch Sie da hinten in der letzten Reihe). Ich hatte sogar vor 8 Jahren nochmal einen, in Angies Nightclub auf der Reeperbahn, mit der höchst empfehlenswerten Maxi-Version von Billy Jean und einer wunderbaren Frau, die ein Kleid mit Schlangenmuster trug. Und wer weiß? Vielleicht wären die 50 Auftritte ja gar dem Fiasko ferner, als einem Triumph näher gewesen. Werden wir nie erfahren. Vielleicht auch gut so. Rest in peace.


Moonwalkend,

Ihr VDL

Mittwoch, 8. Juli 2009

Musterverkennung





Arbeit, Arbeit, Arbeit. Unzuverlässige Microsoft-Programme und der Gin ist bald alle. Kein Vergnügen. Da schreib ich doch hier mal ein paar kurze Worte ins viel zu lange vernachlässigte Blog. Erstmal um die Sache abzuschließen: Des Fleischhauers hab ich mich jetzt entledigt. Das Thema möge hiermit agbeschlossen sein. Nachzulesen in Konkret. Und seine Reaktion ist dann in seinem Blog zu lesen.

Was meine obskure Musik angeht: Wenn Sie die nicht kennen, dann lernen Sie sie doch kennen. Darum geht es doch. Sachen kennenzulernen, die man noch nicht kennt. Und zu meinen Farcebook-Charts: Die meisten Künstler, die darin auftauchen, hatte ich hier einigermaßen ausführlich beschrieben. Weil sie mir eine Herzensangelegenheit sind (Associates, Billy MacKenzie, Andy Pawlak etc). Und das ist es eben was Musik für mich ist: Ständiges Entdecken von Neuem, gerne auch altem Neuen. Und vor Allem eben eine Herzensangelegenheit. Und kein verkopftes Auswählen nach intellektuellen Gesichtspunkten. Musik muss mich packen. Ganz direkt und emotional. Wenn sie das nicht tut, dann bringt das schlauste Gedankengebäude drumrum nichts. Also nichts Gestelztes, kein Ins-Fäustchen-Lachen über Unwissenheit sondern das aufrichtige Anliegen, meine Begeisterung anderen zu vermitteln. Wenn man aber durch jahrelangen Konsum von seit 30 Jahren vergreisten Rockopis schon eine dicke Hornhaut auf den Ohren hat, dann ist das natürlich nicht mehr so einfach mit der musikalischen Offenheit. Und, wie Sie wissen, gibt es durchaus etliche Stones-Platten, die ich sehr schätze. Ich habe also gar nicht grundsätzlich was gegen Greise. Ich bin einfach ein Liebhaber (Diesen Satz bitte mit Barry-White-Stimme gesprochen vorstellen).

Das Tolle am Fettschreiben von Schlüsselwörtern ist ja, dass sie einem dann Halt geben in dieser haltlosen Welt. Und in unseren nicht immer ganz haltlosen Argumentationen. Doch das nur nebenbei. Northern Soul: Ein tolles Thema, da haben Sie vollkommen recht. Nur eines, das ich tatsächlich als weitgehend passiver Konsument genieße. Also, da können Sie mir Namen um die Ohren hauen, die mir überhaupt nichts sagen. Das war mir immer etwas zu spezialistenmäßig. Da hab ich immer lieber zu getanzt als mich durch Plattenkataloge zu fressen.

Kevin Costner und Dennis Quaid sind zwar zwei der langweiligsten aber sicher nicht der schlechtesten Schauspieler. Und ihre Version der Schiesserei am O.K. Corral ist, so erzählt man es sich auf der Straße, die historisch korrekteste Verfilmung. Und das ist ja auch mal ganz interessant. Was nun Original vs Synchronisation angeht: Ein entschiedenes Sowohl-als-auch von meiner Seite. Einerseits gibt es ganz hervorragende Synchronisationen und so manche Filme, deren deutsche Dialoge besser sind als die originalen. Und ich meine da jetzt gar nicht solche Extrembesipiele wie "Die 2", die im Original als "The Persuaders" eine durchaus lustige aber sehr konventionelle Krimiserie sind und auf deutsch zu einem aberwitzigen und manchmal recht tollen Fest der Albernheiten mutiert. Auch "Raumschiff Enterprise" ist auf Deutsch keinesfalls schlechter.

Oft fragt man sich aber auch, ob die Übersetzer überhaupt schon mal was von der englischen Sprache gehört haben. Oder von der deutschen. Weiss man leider nie vorher, an was für eine Übersetzung man da wohl gerät. Da denke ich meist: In Dubio pro Originalintention. Bei Büchern wie bei Filmen. Und ich denke, mein Englisch ist gut genug, dass mir nicht zu viele Feinheiten entgehen. Bei einer schlechten Übersetzung ist das anders (Ist aber auch ein Scheissjob, die Übersetzerei. Irrer Zeitdruck und Minimalbezahlung. Da fragt man sich, wie es überhaupt so fähige Übersetzer geben kann. Bernd Rüllkötter oder Thomas Schlachter fallen mir da ein. Die Übersetzen so gut, dass ich oft nicht mehr weiss, ob ich das Buch im Original oder in der Übersetzung gelesen habe).

Bei Filmen seh ich das so: Ein nicht unwesentlicher Teil der Schauspielkunst besteht ja auch im Sprechen. Ein Grund für mich, die meisten Filme im Original zu schauen. Und Filme mit Keanu Reaves grundsätzlich nur auf Deutsch. Der Mann kann überhaupt nicht sprechen. So wird er auf Deutsch gleich zu einem um Klassen besseren Schauspieler. Hut ab vor allen Guten. Sowohl Schauspielern als auch Übersetzern. Und Synchronsprechern.

Zum Schluss noch eine Buchempfehlung: Der neueste Roman von William Gibson, ein Autor mit dem ich bislang nie viel anfangen konnte, ist hervorragend. "Pattern Recognition" heisst der. Bzw. "Mustererkennung". Ich weiss nicht, wie gut die Übersetzung ist. Aber ein feiner Thriller ist das. Protagonistin ist eine Frau, die auf geradezu allergische körperliche Weise auf bestimmte Logos reagiert und so von Firmen und Agenturen konsultiert wird, die neue Logos testen wollen. Der Plot dreht sich um obskure Filme, die im Internet auftauchen, Leute die nach deren Urheber suchen, mit verschiedenen Intentionen, um Kunst und Geld, um Prinzipien und um Menschen, die für ihre Karriere über Leichen gehen. Also genau das Richtige für uns "Medienschaffende". Und natürlich näher dran als es einem lieb ist.

So. Das erstmal dazu. Und jetzt wieder zurück zur bezahlten Arbeit.

Cheerio,

Aka.

Dienstag, 23. Juni 2009

Klar verständlich.




Verehrter Kulturfreund Kasbohm!


Sollte bei Ihnen der Eindruck entstanden sein, ich würde Ihre Beiträge in diesem, unserem Block verkonsumieren wie ein Abschiedsbier in der Hasenschaukel (Zack! Zisch! Wiedersehn!), gehen Sie aber ganz gewaltig fehl. Ich lese jede Silbe und präge mir alles messerscharf ein. Manchmal mache ich mir sogar Notizen, drucke alles aus und hefte mir das Zeugs dann über meinen Nachttisch. Okay, nicht immer. Aber im Großen und Ganzen entspricht das der Wahrheit. Mit dem Lesen auf jeden Fall. Mit dem Verstehen schon weniger. Da brauchen Sie mir jetzt gar nicht mit rundfunkbildenden Künstlern wie ABC oder den wirklich schlimmen ZZ-Top ums Bein schnurren. Und mit Ol' Blue Eyes schon gar nicht, weil sich auf den ja gleichermaßen Swing-Afficionados wie auch Robbie-Williams-orientierte Sozialversicherungsfachangestellte einigen können. So leicht kommen Sie mir nicht aus den Fingern. 


Weitestgehend ahnungslos bin ich nämlich bei vielen Künstlern, Kapellen, Filmen und Heften, die Sie hier so gern in Eichhörnchenhafter Manier zusammensammeln und fettgedruckt aufzuführen belieben. Allein schon Ihre aktuell im Fratzenbuch veröffentlichten "Juniplatten"! Um wen, zum Henker, handelt es sich da? Das könnten auch die aktuellen Charts der Kapverdischen Inseln sein, Sie können mir ja viel erzählen! Und insgeheim lachen Sie sich ins Fäustchen über mich und die ganzen doofen Leser, die ohne Ahnung sind und Sie, Kasbohm, darum am Ende für total gespreizt und gestelzt halten. Ihnen gefällt das wohl, was? Dabei machen Sie Ihr Beck's doch auch mit dem Feuerzeug auf, wie alle anderen. Trotzdem – und das muss ich hier mal unumwunden zugeben: gegen Sie bin ich der Mainstream-Mann. Ein kultureller Passat-Fahrer. Und das sogar ohne ausdrückliche Erwähnung, dass es sich bei den Rolling Stones noch immer um meine fast unangefochtene Lieblings-Combo handelt. Sie sind mir einfach eine Nummer zu groß, Kasbohm. Ich komm da nicht mehr mit. Wenn wir unsere Leser im Schulterschluss überfordern wollen, müssen wir uns schon woanders treffen. Auf der Sixties-Soul-Tanzfläche vielleicht. Dort kann ich nämlich auch mal ganz ganz anders! Wenn ich mein Weekender-Täschchen öffne! Blass werden Sie da. Vielleicht. 


Aber Apropos Stones! (Näher will ich gar nicht auf die Oppas zu sprechen kommen, weil ich mit dieser Band viele nette Menschen gequält und vergrault habe und daher seit geraumen Jahren ein themenbezogenes Schweigegelübde einhalte. An dieser Stelle noch einmal an alle Geschädigten: Entschuldigung. Schadenersatzansprüche richten Sie bitte an Allen Klein, ABKCO Records, London.) Wo war ich? Ach ja. Verwunderlich, aber trotz meiner musikalischen Leidenschaft für die geriatrische Abteilung des Rock'n'Roll ist mir der Blues genauso verhasst wie Ihnen, Kasbohm. Es gibt wohl auf der ganzen weiten Welt nichts Langweiligeres als Blues. Dressurreiten vielleicht, aber ich mag mich da nicht festlegen. Der Blues ist das Eisstockschießen der Musik. Und jetzt fragen Sie mich gleich, warum ich bei facebook in diesem Monat dann den Clapton und den Winwood, mit ihrem Betriebsausflug in den Madison Square Garden, unter meinen favorisierten Fünf aufgeführt habe. Sehen Sie – das frage ich mich jetzt auch. Kann eigentlich nur am Winwood liegen, der sich schon vor über 25 Jahren in meinen Plattenschrank geschlichen und mich später mit Back in the High Life über meinen ersten, richtig fiesen Liebeskummer gerettet hat. (Ja, Barbara – DEINETWEGEN!) Sowas verpflichtet natürlich. Und deckt selbst über so manchen Fehltritt des stillen Orgelspielers meinen dicken, schallschluckenden Mantel des Schweigens. 


Natürlich haben Sie übrigens vollkommen recht, was das Abnutzen der Sinne betrifft. Bestimmt zählen Sie ja auch richtigerweise Contact zu den Science-Fiction-Filmen. Eine perfekte Parabel über den Atheismus – dennoch werden viele Kinobesucher enttäuscht gewesen sein, als Jodie Foster auf dem Planeten Wega nicht auf schleimige Körperfresser stieß, sondern auf einen Außerirdischen, der sich schnöde als ihr Papi verkleidet hatte. Sie sehen – man kann es nicht allen Leuten recht machen. Und was den Western anbelangt: da hat sich das phasenweise arg schwächelnde Genre tatsächlich selbst am Lasso aus dem Treibsand gezogen. Man kann zu Kevin Costner stehen wie man will, aber für Silverado, Wyatt Earp und Open Range kann man sich nur bedanken. (Wie auch bei Dennis Quaid in seiner Rolle als schwindsüchtiger Doc Holliday.) Eine ehrliche Schießerei im Staub ist mir persönlich jedenfalls immer noch zehnmal lieber, als jeder schwedische Schnee-Schocker. Oder amerikanische Pulp-Bill-Kill-Fiction-Episodenstreifen mit O-Ton und diesem buckeligen "Musst-du-gesehen-haben!-Faktor". Erstens: Ich muss gar nix. Zweitens: Warum soll ich mir die "echten" Doc Martin DVDs über zwielichtige Mittelsmänner umständlich in England besorgen, wenn Axel Milberg den Doktor Martin hierzulande in Neuharlingersiel ganz vorzüglich verkörpert? Und vor allem: auf deutsch. Eben. Ehe Sie sich nun aber Sorgen machen – meine Sinne sind noch nicht so abgewetzt, dass ich mir nicht durchaus das eine oder andere Filmchen im Ursprungszustand zu Gemüte führe. Aber warum muss es eigentlich immer das verdammte Abaton sein, wo sich die ganzen Hipster mit Oh-Tee verlustieren (und die Hälfte der Anwesenden sowieso nur die groben Zusammenhänge versteht)? Was ist so falsch an den Vorzügen der Synchronisation? Wer sich schon mal für längere Zeit in Skandinavien aufgehalten hat, wo das Geld der Fernsehsender in Milchkühe investiert wird und wo man jeden verdammten Popcornkinofilm in breitestem Minnesota-Idiom genießen muss, denkt da anders. Oder Bücher! Anstatt den Volkshochschulen einen wirtschaftlichen Aufschwung in der Sparte "Sprachkurs für Fortgeschrittene" zu bescheren, geben die Leute ihre hart verdienten und mit dem Bundesadler bedruckten Euros aus und quälen sich durch englische Originalausgaben. In Zeiten, in denen Harry Rowohlt gottlob noch zur arbeitenden Bevölkerung gehört. Versteh ich nicht. Wirklich erfrischend ist die Anderssprachigkeit für mich persönlich nur in einem einzigen Fall: bei Rambo. Auf türkisch. Ich sage Ihnen: das MÜSSEN Sie gesehen haben!


Güle Güle, Kasbohm'lerde!

VDL


  

Freitag, 12. Juni 2009

Alltag & Drama


Mein lieber VDL,

Sie müssen mir aber schon zuhören, ja? Sie bemerkten zwar, vollkommen zu Recht, dass ich kein elitärer Spinner bin, der nur Avantgarde und obskure Bands hört, die 1968 mal eine Single veröffentlicht haben, von der dann nur 5 Stück verkauft wurden. Es gibt kaum einen Stil den ich nicht höre und wenn viele andere diese Musik auch hören, dann habe ich überhaupt kein Problem damit. Gebt mir die Pet Shop Boys, gebt mir ABC, gebt mir Steely Dan und Frank Sinatra, gebt mir von mir aus auch ab und an mal ZZ Top. Gebt mir aber auch Andy Pawlak, Bobbie Hutcherson und die Wild Swans. Gebt mir Fleetwood Mac. Aber gebt mir bitte niemals, niemals Blues. Davon wachsen einem nämlich Jeansjacke und ein grauer Zopf. Und eh man sich versieht, sieht man so aus wie Kuno von HH1. Niemals habe ich die Peter-Green-Phase von Fleetwood Mac über die Nicks/Buckingham-Phase gestellt. Ganz im Gegenteil und hiermit noch einmal zu Protokoll: Tusk und Rumors sind tolle Platten und aus der Green-Phase würde ich vermutlich bei keiner Platte bis zur Hälfte von Seite eins kommen.

Was ich gelobt habe und nicht müde werde weiter zu loben sind die Platten dazwischen. Ganz genau die vier, die direkt vor Buckingham/Nicks aufgenommen wurden. Das sind Pop-Platten reinsten Wassers: sehr amerikanisch, sehr groovy. Und die werden überhaupt nicht beachtet. Denn es gibt eben nur die Fans der Spätphase und die Blueskunos, die nur die Peter-Green-Sachen hören. Ich sage: Stellt euch mal dazwischen. Setzt euch zwischen die Stühle. Am besten auf ein schön weiches Flokati-Kissen (gibt es sowas eigentlich? Wenn nicht: Sofort aus dem alten Teppich basteln: Ein Flokati-Sitzkissen für den Platz zwischen den Stühlen).

Und das mit dem Lesen üben wir dann auch gleich nochmal: In der Art von Science Fiction von der ich sprach kommen eben keine Lichtschwerter vor (Nichts gegen "Star Wars", ich liebe die ersten zweieinhalb Filme. Aber strenggenommen ist das auch kein Science Fiction sondern eher Weltraum-Fantasy) sondern verfallene Straßenzüge, moralisch oder finanziell ruinierte Menschen. Paranoia und Realitätsverschiebungen. Eben wie guter SF in aller Regel ist: Eine Parabel auf Strömungen der Zeit, in der er entstanden ist. Und kein Geballer im Weltraum. Da versuch ich mal mit Klischees aufzuräumen und sie kommen mir daraufhin mit genau denen. So geht das aber nicht! Denken Sie mal eher an „Blade Runner“, David Cronenberg oder „Solaris“ als an „Star Wars“ oder „Dune“.

Aber ich verstehe ja die Abnutzung der Sinne. Geht mir ja nicht anders. Wenn man sich den ganzen Tag den Schwachsinn anhören und anschauen muss, den andere Menschen so verzapfen, dann wird halt ein Sinneszentrum nach dem anderen geschlossen. Und, weil ich ja ein krankhafter Versöhnler und Harmoniemensch bin: Western? Jederzeit! Auch die Machoverherrlichungswestern, gar kein Problem. Am liebsten sind mir aber seit einiger Zeit tatsächlich die guten Italowestern, also vor allem die mit Clint Eastwood. Da gibt es keine sauberen Helden, keine gute Sache sondern nur Typen mit unterschiedlichen Graden von Kaputtheit und Korruption. Das gefällt mir. Ist wie im Leben. „The Good, The Bad & The Ugly“ bleibt unerreicht.

Die nächste Woche muss ich dann mit Planung und Ausführung meiner Reise zum großartigen Künstler Daniel Spoerri ind Österreich verbringen, der seit über 40 Jahren die tollsten Sachen macht. Und ein großes Faible fürs Essen hat. Bei ihm sollte ich also eigentlich gut aufgehoben sein. Ein längerer Text über den Profilneurotiker Jan Fleischhauer erscheint dann in der Juli-Ausgabe von Konkret. Damit hab ich mich dann abreagiert und werde mich nicht weiter mit ihm und seinen langweiligen, schlecht argumentierten und paranoiden Texten beschäftigen.

Bis dahin höre ich noch einmal die Höhepunkte des Schaffens der Associates durch. Völlig wahnsinniger, hysterischer, dramatischer Weirdo-New-Wave. Billy Mackenzie und Alan Rankine, die beiden Associates der Frühzeit, hatten sich, so erzählt man sich auf der Straße, bei den Aufnahmen zum Meisterwerk „Sulk“ an manchen Tagen volle Teetatassen an den Kopf gebunden an anderen mussten alle beteiligten Musiker mit einem ans Revers gehefteten Fisch im Studio erscheinen um den Vibe zu bekommen. Weiterhin wurde ausprobiert, wie ein Schlagzeug wohl klingt, wenn man es mit Wasser füllt (es geht kaputt) oder wie sich Urin auf die Klangeigenschaften eine Guitarre auswirkt. Die beste Weise, mit dem Vorschuss der Plattenfirma umzugehen, würde ich sagen (vielleicht neben der damals beliebten Ansage „Das können wir so nur in den Compass-Point-Studios auf den Bahamas aufnehmen“). Das waren noch Musiker, wie es sie heute nicht mehr gibt. Und Sänger Mackenzie gibt es leider tatsächlich seit 1997 nicht mehr, da er merkte, dass er und diese Welt wohl keine Freunde mehr werden. Nach seinem Tod erschien dann „Transmission Impossible“ eine Sammlung immer noch leicht dramatischer aber völlig unhysterischer Torch-Songs, meist nur von Klavier und Guitarre begleitet. Eine wunderbare, Stilsichere Platte. Vermutlich nicht hundertprozentig Ihr Ding, alter Rocker aber mir doch wert einen Absatz lang zu schwärmen.

Ich werde mich jetzt weiter erstklassigem Eskapismus widmen und wünsche recht vergnügte Tage. Bei mir stehen jetzt die Aliens vor der Tür. Und ich fürchte sie sehen so aus wie in „Louis und seine ausserirdischen Kohlköpfe“.

blululululu,

Aka