Dienstag, 17. August 2010

Frisch gestrichen.





Mir ist gerade so nach Streichern, Kasbohm.


Ja, ich weiß – das ist dementsprechend eine echt blöde, kalauerige Überschrift für diesen Beitrag, aber manchmal gehen dem anderen, dem bösen und schmierigen Reklamefachmann in mir die Gäule durch. Jedenfalls. Wo jetzt der Sommer langsam aber sicher in seine letzte Runde biegt, macht sich bei mir immer so eine besondere Stimmung breit. Schwer zu beschreiben, hat auch was mit dem bisher Erlebten in früheren Augusten und Septembern zu tun. Für besondere Zeiten hat man ja in der Regel auch einen besonderen, ganz bestimmten Soundtrack. Auf diese Weise entstehen ganz nach persönlichem Erinnerungsvermögen Sommer-, Winter, Frühlings- oder Herbstplatten. Bei mir hörte sich der Soundtrack zum August und September eigentlich bislang ganz anders an. Dass sich das jetzt geändert hat, liegt an Ihren Juliplatten, Kasbohm. ELO auf Platz eins. Hoppsa, dachte ich da. Und: vielleicht sollte man die auch mal wieder auflegen. Während also Out of the Blue durch meinen Player dudelte, fühlte ich mich gestern irrsinnig beschwingt und fast von meiner schon um die Ecke schauenden Winterphobie genesen. Es gibt tatsächlich kaum eine andere Band, mit der man einem tollen Sommer, der sich langsam auf die Südhalbkugel verpfeift, ein würdiges Denkmal setzen kann. (Die Russen werden das in diesem Jahr anders sehen, aber das jetzt näher zu beleuchten, würde vom Thema wegführen.)


Es ist eine gottlose Schande, dass modische Kapriolen im Laufe der Jahrzehnte ihr Comeback feiern dürfen, die dazugehörige Musik aber nicht. Wäre das anders, hätten ELO spätestens zum Jahrtausendwechsel ihr wohlverdientes Revival haben müssen, als auch der letzte Hans und Franz den elterlichen Kleiderschrank plünderte und die dort gefundenen Seventies-Klamotten auf die Straße schleppte. Ist doch komisch Kasbohm, oder? Da rennen die Leute mit Papis Ledermantel durch die Gegend und hören auf dem iPod Blink 182. Ich käme mir da irgendwie unauthentisch vor. Aber egal. Soll mal jeder so, wie er will.


Eines meiner musikalischen Lieblingsmysterien ist jedenfalls nach wie vor, warum Jeff Lynne im Laufe seiner Karriere mehr Hohn und Spott als Lobreden geerntet hat und sich heute kaum eine Sau mehr für ELO interessiert. Wenn man nicht gerade eine Allergie gegen Bombast-Pop, Streicher, Minipli-Frisuren oder tropfenförmige, getönte Brillen hat, ist kaum zu erklären, warum sich außer uns niemand mehr an das Electric Light Orchestra erinnern mag. Es leuchtet ein, dass ELO in ihrer Hochphase gegenüber dem Glam, dem Punk und zaghaft aufkeimendem Wave ziemlich weichgespült und nicht gerade als Gipfel der Coolness herüberkamen. Gegen Disco hatte Jeff Lynne ein Antidot, auch wenn sein Discovery gegen die Bee Gees ein wenig abgeschmackt klingt. Was mich damals nicht gehindert hat, Don't bring me down vom dicken Strüver, der in der Nebenstraße wohnte, auf Cassette zu überspielen und meine Eltern an den Rand des Wahnsinns zu treiben. Sicher, wir reden hier über Pop-Musik, der man – im Gegensatz zum Rock – ohne Untertreibung unterstellen kann, dass sie kaum bis gar nicht in der Lage ist, Leben zu retten. Dafür kann sie das Leben leuchten lassen. Und wenn man sich in den Siebzigern umschaut, gibt es nur eine Handvoll Bands, die das auf jedem Album locker geschafft haben. Greift man nur drei Platten aus jener Dekade aus dem großen Sack, erwischt man mit A New World Record, Out Of The Blue und schließlich sogar Discovery die Richtigen.


Komischerweise fallen einem bei der Frage, wer die Beatles besonders schamlos beklaut hat, zuerst die Gallagher-Brüder ein, aber wenn man dann mal in Richtung Jeff Lynne hinüber schielt, werden die Fußball-Prolls aus Manchester zu wahren Winzlingen mit Playmobil-Frisuren. Die Chorgesänge von ELO klingen geradezu, als wäre Lynne irgendwann ins Apple-Gebäude geschlichen und mit Spinnweben am Kopf und einem ranzigen Koffer voller Tonbänder in der Hand wieder herausgekommen. Daheim im lauschigen Studio noch ein paar Bratzgitarren, Keyboards und jede Menge Streicher oben drauf und fertig ist eine ELO-Platte. Merkt bestimmt kein Mensch. In Ordnung, wenn Sie mich fragen. Vorbilder braucht schließlich jeder. Fies fand ich nur, dass sich Jeff Lynne ab 1981 permanent selbst bestahl. Und dann noch Xanadu die Travelling Wilburys, Roy Orbison und... ach, man soll ja nicht ständig auf alten Sachen herumreiten. Denn auch die können die Glanzzeit von ELO nicht schmälern. Fleetwood Mac haben nach Tusk auch bloß Schrott produziert – man wäre kleinlich und dumm, wenn man ihnen deshalb auch Rumours übelnehmen würde. Und wer ELOs Living Thing nicht liebt, ist defintiv ziemlich arm dran, weil mausetot. (Allerdings wäre es interessant, das Stück infernalisch laut auf einer Schädelstätte abzuspielen, denn nach meinem unmaßgeblichen Dafürhalten erweckt das jeden Verblichenen in wenigen Augenblicken zu blühendem Leben.) Weil es jetzt auch wieder öfter regnet, sollte man sich außerdem unbedingt die komplette dritte Seite von Out of the Blue zu Gemüte führen: Concerto For A Rainy Day besticht vor allem mit Big Wheel. Man ertappt sich dann auch schon mal dabei, dass man vor der Stereoanlage ein imaginäres Orchester dirigiert (aber vielleicht mache auch nur ich das manchmal so).


Vermutlich rannten damals auch nur ältere Semester in die Konzerte, um Menschen mit Bärten geigen oder stocksteif Gitarre spielen zu sehen. Und natürlich verklärt die Zeit alle schlimmen Auswüchse. Aber das ist für unsere Leserschaft bittesehr nur ein weiterer Grund, musikalisch etwas nachzuholen, was man vielleicht noch nicht getan, aber schon lange hätte tun müssen – nämlich sich ein paar ELO-Platten zuzulegen. Am besten gleich morgen. Aspirin haben Sie doch schließlich auch immer im Schrank. Und wenn das nächste Mal die Sonne scheint, werden Sie glücklich sein, gleich das Richtige auflegen zu können. Das ist ein sehr guter Tipp. Gern geschehen. (Danken Sie nicht mir, danken Sie Jeff Lynne. Und dem Kasbohm, der freut sich sicher.)


Mir ist nach Streichern, Kasbohm und ich höre heuer ELO. Und ebenso jede einzelne Note, die die grandiosen, überwältigenden, einfach fabelhaften Tindersticks bis heute auf Platte gebannt haben, aber das ist natürlich schon wieder ein ganz anderer Beitrag. Ach, und mal nebenbei: sind Sie eigentlich seekrank geworden, auf Ihrer Kuttertour durch die Nordsee?


Dessen ungeachtet wünsche ich einen schönen Restsommer.

In elektrischem Licht.

VDL