Dienstag, 8. Juni 2010

Bafana Bafana? Natia Natia!




Von: Kasbohm

An: VDL

23.05.2010, 15:48


Feinsen, Herr van der Valk!


Kennen Sie die Serie eigentlich? Lief in den späten 70ern spät Abends im ZDF. Zu spät für mich, daher kenne ich nur den Namen.

Die nächsten Tage bin ich noch mit dem Essen und beschreiben kalter Suppen beschäftigt. Aber dann geiht los!


Pfrohe Pfingsten,

Van der Kaas



Lieber Sportsfreund Kasbohm.


Kalte Suppen. Ich weiß, ich weiß, die sind bestimmt ganz irre lecker aber ich störe mich bloß immer ein wenig am Begriff selbst. "Kalte Suppe" klingt so wie Bier ohne Alkohol oder Gitarre ohne Strom. Aber Arbeit geht ja vor – schauen Sie fremden Leuten gern in deren Töpfe. Natürlich freue ich mich, dass Sie mir bestimmt demnächst einen Teller Gazpacho vorbeibringen, aber eigentlich wollte ich mich mit Ihnen heute über das Thema unterhalten, welches die ganze Welt bewegt. Nein, das ist nicht das noch immer im Internet und der Wirklichkeit sprudelnde Bohrloch der bp und der abgemurkste Golf von Mexiko, auch nicht irgendwelche Sparpakete und erst recht nicht Deutschlands Vorleser Nummer Eins, Horst Köhler. Sondern natürlich Fußball.


Noch zwei Tage und die Weltmeisterschaft in Südafrika wird angetreten. In Deutschland planen laut Hamburger Abendblatt über 70 Prozent der hiesigen Bevölkerung, ein schwarz-rot-goldenes Accessoire am Auto anzubringen. Schön und gut, dass sich dieses Land nach der letzten WM einen natürlichen Nationalstolz aus der rechten Schmuddelecke zurückerobert hat und man sich wieder traut, offen und fröhlich mit den deutschen Farben herumzukurven. Gleich daneben habe ich aber vor wenigen Tagen darüber nachgedacht, ob die deutsche Fangemeinde eigentlich das Privileg der Teilnahme zu schätzen weiß. Hierzulande neigt man ja schnell dazu, Vieles selbstverständlich zu nehmen. Nachdem wir Papst sind, sind wir nun auch Grand-Prix (oder "Song-Contest", aber wer nennt das schon so?). Wir dürften auch ohne den Erfolg von Lena Awesome-Landruth immer wieder teilnehmen, was, wie ich mal gehört habe, an irgendwelchen finanziellen Spritzen für diese Veranstaltung liegt. Die Frage ist, ob wir uns die Beiträge aus Aserbaidschan, Zypern und England oder eine fiese Ponyfrisur aus Serbien auch antun würden, wenn Deutschland noch nicht einmal mit einer Ralph-Siegel-Platte vertreten wäre. Und was, wenn hierzulande die despektierlich getauften "Idiotenstandarten" keinen reißenden Absatz mehr finden würden, weil unsere Elf in Folge einer verhunzten Qualifikation in der Sonne liegen würde, anstatt um den Cup zu kicken? Mit Ausnahme von 1930 und 1950 war die deutsche Manschaft bei allen Fußball-Weltmeisterschaften dabei – für die Niederlande oder Dänemark, die Schotten, Iren, Briten und viele andere Teams gilt das keinesfalls. Was machen eigentlich diese ganzen Nationen, die sich nicht qualifiziert haben? Die Freude am Sport muss schon groß sein, wenn man sich einfach nur gute Spiele anschaut, ohne mit dem echten Feuereifer dabei sein zu können. Ich drücke neben Deutschland auch Holland, Dänemark und Spanien die Daumen und darf daher oft genug mit weiß angelaufenen Handknöcheln vorm Fernseher oder der Leinwand in der Hasenschaukel sitzen. (Freilich nicht, wenn Oranje spielt – ich bin nicht unbedingt auf Hämatome oder einen Milzriss scharf.) Aber nehmen wir zum Beispiel eine meiner ganz großen Lieblings-Nationalmannschaften: Amerikanisch-Samoa.


Wie wenig anhängig der Spaß am Spiel vom Erfolg ist, beweist die Elf von Amerikanisch-Samoa durchaus eindrucksvoll. 2002 mussten die Jungs in der Qualifikation gegen Fiji, Australien, Samoa und Tonga auf den Rasen und sind am Ende dann ganz unglücklich mit einem Torverhältnis von 0:57 ausgeschieden. Gegen Tonga gab es noch gute Chancen (Endstand: 0:5). Denkwürdig war jedoch die Partie gegen Australien. Zur Halbzeit hätte man beim Stand von 0:16 die Partie vielleicht noch irgendwie drehen können, aber am Ende war das Ergebnis von 0:31 doch etwas ernüchternd. (Ich würde hundert Piepen für einen Mitschnitt der Kabinenansprache zahlen.)


2004 schlug jedoch die große Stunde für Amerikanisch-Samoa. In der Qualifikation für die WM 2006 verlor man zwar gegen Vanuatu mit 8 Toren Unterschied, aber in der 39. Minute erzielte der Ballkünstler Natia Natia das erste Tor für die Nationalauswahl. Blöderweise wurden die Kicker des Inselstaates im Anschluss von Fiji und Papua-Neuguinea ordentlich abgerubbelt und verpassten die Tickets zur WM mit einem Torverhältnis von 1:34 einigermaßen knapp. Dafür dürfte Natia Natia vermutlich bis an sein Lebensende keinen Cent mehr für seine Drinks bezahlen müssen. Für die Statistiker unter uns: in der FIFA-Weltrangliste nimmt Amerikanisch-Samoa den letzten Platz ein. Teilt sich diesen aber mit fünf weiteren Mannschaften, was die ganze Sache durchaus relativiert, wie ich finde.


Was lernen wir daraus? Ich gehe davon aus, dass man auf Amerikanisch-Samoa ab Freitag gespannt nach Kapstadt, Durban oder Johannesburg schauen wird. Genauso wie in Hamburg, Kopenhagen oder London. Weil da unten rund ums Kap nämlich vier Wochen lang toller Fußball gespielt wird und es eigentlich vollkommen egal ist, ob man eine Fahne dazu schwenken kann. Natürlich ist es ein wenig vergleichbares Vergnügen, zwischen Autokorsos und Hupkonzerten im Stau nachhause zu schleichen oder bei Toren von Mario Gomez oder Cacau fremden Leuten um den Hals zu fallen. Dessen ungeachtet kann man aber allen Mitmenschen nur raten, mal ins Hamburger Portugiesenviertel zu gehen, wenn Christiano Ronaldo den Platz betritt. Oder beim Lieblingsitaliener einen Averna zu trinken, wenn die Squadra Azzurra gegen Paraguay kickt. Sport ist, wenn der Bessere gewinnt. WM-Fußball ist, wenn man sich kollektiv aufregt – und sich Menschen verschiedener Nationen gegenseitig Respekt erweisen. Da kann man als Schweizer auch mal Ghanaer oder als Deutscher auch mal Nigerianer sein. Nicht immer, aber manchmal. Wenn auch Natia Natia nie an einem internationalen Turnier teilnehmen wird – Bafana Bafana klingt ja so ähnlich und für die kann man auch mal die Vuvuzela blasen.


Ich hoffe, Sie sind in Top-Form, Kasbohm. Und freuen sich genauso wie ich auf die schönste Nebensache der Welt. Die ja auch woanders sehr beliebt ist, wie schon Heribert Faßbender wusste: »Fußball ist inzwischen Nummer 1 in Frankreich. Handball übrigens auch.«


Natia Natia!

VDL