Donnerstag, 26. Mai 2011

Kick off!


































(Atmosphäre: Vor der Hasenschaukel, St. Pauli, später Abend.)

»Kasbohm, was ist jetzt eigentlich mit dem Blog?«
»Au ja! Ja! Ja... daran hab ich auch mal wieder... wir müssen da unbedingt... aber anders!«
»Wie, anders.«
»Anders. So. Irgendwie. Malte sagt auch, die Beiträge müssen kürzer.«
»Kürzer ist ja schon mal besser als gar nichts.«
»Genau! Mal überlegen... Auch noch ein Bier?«
»Och.«

So. Los jetzt. 
Küsschen,
Ihr VDL





Sonntag, 3. April 2011

Kasbohm hat Geburtstag.

.


Einen ganz wunderbaren Fødselsdag wünsche ich Ihnen, werter Freund und Wortstecher. Gesundheit, Glück, Vermögen, Bartwuchs. Und immer einen weißen Anzug zur Hand, wenn Sie gerade einen brauchen. Leben Sie hoch. Ihr Ihnen ergebener 
VDL

Donnerstag, 7. Oktober 2010

Stuttgart, ganz oben.





Grüß Gott, Kasbohm.

Home is, where the heart is. Wenn diese einfache, wohlklingende Formel stimmt, ist Stuttgart mein Zuhause. Gerade zwei Jahre habe ich in der Landeshauptstadt am Neckar verbracht, aber wenn ich so zurückschaue, gehören die zu den besten, die ich bislang erlebt habe. Wenn es nicht sogar die Allerbesten waren. 

Stuttgart wurde im Krieg einigermaßen dem Erdboden gleichgemacht und vom "Florenz Deutschlands", wie die Stadt vor Adolfs großer Sause auch genannt wurde, blieb nicht mehr allzu viel Reizvolles stehen. In Stuttgart lauert das vermutlich hässlichste Rathaus im Umkreis von 1.000 Kilometern auf entsetzte Besucher, der Dialekt ist für ungeübte Ohren ein akustischer Graus, wenn man am Sonntag Wäsche wäscht, läuft man Gefahr beim nächsten Einkauf von den Anwohnern bespuckt zu werden und der VfB steht auf dem letzten Tabellenplatz (noch!). Aber trotzdem hat es zwischen dem Häusermeer im Talkessel und mir gefunkt. Und daran hat sich bis heute nichts geändert. Diese Liebe wird halten. Auch ohne Ring oder kirchlichen Segen.

Dementsprechend denken Sie sich schon Kasbohm, wie sich das für mich gerade anfühlt, wenn ich den Fernseher einschalte.  Ich will jetzt gar nicht mit dem ganzen Für und Wider anfangen, auch nicht mit "Oben" oder "Unten". Ich bin für einen Baustopp und dafür, dass Stuttgart oben bleibt. Nicht nur, weil ich Veränderungen verabscheue. Sondern aus einem ganz anderen Grund, der auch viel mit Bahnfahren zu tun hat. Immer dann, wenn ich anderen Leuten von meiner Zuneigung zu Stuttgart erzählt habe, schüttelten die den Kopf, als hätte ich von Novosibirsk oder Castrop-Rauxel gesprochen. Erst recht, wenn man sich nicht zu schade ist, ganz und gar öffentlich Stuttgart der Freien und Hansestadt Hamburg vorzuziehen. Da greift die eine oder andere Hand dann schon mal in die Hosentasche und tastet nach dem Handy, um medizinische Hilfe herbeizuholen. Auffallend an jenen Unterhaltungen war bloß ein oft wiederkehrendes Szenario. Meine Frage: »Warst du überhaupt schon mal in Stuttgart?« Und darauf die häufige Antwort: »Nö, wieso?«

Ich hätte dann natürlich entgegnen können, dass da Blinde von der Farbe sprechen, aber ich war ja auch noch nie in Novosibirsk. Also habe ich mir im Lauf der Jahre einen guten Rat für jene Personen parat gelegt, den ich in den entsprechenden Situationen wunderbar vom Stapel lassen konnte. »Wenn du mal nach Stuttgart fährst, fahr unbedingt mit dem Zug.« Das gilt (zumindest jetzt noch) auch für Sie, Kasbohm. Wenn die ersten weniger attraktiven Ausläufer Stuttgarts erst einmal an Ihnen vorbeigezogen sind, werden Sie mit jedem weiteren Meter zum Ziel durch einen tollen Blick belohnt. Sie werden sehen, wie sich die Stadt zwischen die Kesselhöhen kuschelt, Sie werden Weinberge entdecken, sanfte Hügel mit hübschen Bauwerken, Ausläufer des Schlossparks und vielleicht sogar das Schloss selbst, je nachdem wo Sie im Zug sitzen. (Und wenn Sie dann kurz vor Ihrem Ankunftsgleis an diesem hässlichen Kino-Betonklotz vorbeikommen, machen Sie einfach die Augen zu.) Stutti besitzt bei der Anfahrt per Eisenbahn einen durchaus romantischen Reiz, man möchte sofort ein Viertele Lemberger auf den Tisch gestellt bekommen und für den Rest des Tages einer hübschen Schwäbin beim Spätzleschaben zuschauen. Ohne Scheiß jetzt mal. Probieren Sie das ruhig aus. 

Ich will, dass das so bleibt. Auch, wenn Stuttgart 21 in einem demokratischen Prozess und über einen sehr langen Zeitraum geplant und schließlich beschlossen wurde. Auch, obwohl die Bürger Baden-Württembergs lange gewusst haben, was auf sie zukommt. Denn ich neige selbst dazu, Entscheidungen erst auf den letzten Metern zu treffen, wenn mir die Tragweite wirklich bewusst geworden ist. Der momentane Protest ist beispiellos – sogar in zweierlei Hinsicht. Denn in dieser Form entschlossen und quer durch alle Gesellschaftsschichten aufzustehen und "Nein" zu sagen, hätte man den Hamburgern zugetraut. Selbstredend den Berlinern, auch den Menschen aus Köln, Dortmund oder Leipzig. Aber ganz bestimmt nicht den Schwaben. Der Schwabe ist nicht gerade der deutsche Prototyp in Sachen Aufstand oder Anarchie. Vermutlich waren 1972 auch die Punks in Stuttgart adrett angezogen. 

Wenn man aber jetzt von der geradezu ekelerregenden Art seitens der Politik absieht, die den Konflikt um Stuttgart 21 dankbar zum Wahlkampfthema instrumentiert und so flink die Stellungen wechselt, dass die FDP glatt neidisch werden könnte, sieht man in erster Linie eines. Nämlich dass Kinder und Erwachsene, Omis und Opis, Schlipsträger und HipHopper, Kranke und Gesunde, Ausländer und Inländer nebeneinander im Wasserstrahl der Exekutive stehen. Das finde ich fantastisch. Ich bin stolz auf meine Stadt.

Ich bleib oben, Kasbohm. Bleiben Sie mit?
Adé, Ihr Schwobesäggl 
VDL   



Dienstag, 17. August 2010

Frisch gestrichen.





Mir ist gerade so nach Streichern, Kasbohm.


Ja, ich weiß – das ist dementsprechend eine echt blöde, kalauerige Überschrift für diesen Beitrag, aber manchmal gehen dem anderen, dem bösen und schmierigen Reklamefachmann in mir die Gäule durch. Jedenfalls. Wo jetzt der Sommer langsam aber sicher in seine letzte Runde biegt, macht sich bei mir immer so eine besondere Stimmung breit. Schwer zu beschreiben, hat auch was mit dem bisher Erlebten in früheren Augusten und Septembern zu tun. Für besondere Zeiten hat man ja in der Regel auch einen besonderen, ganz bestimmten Soundtrack. Auf diese Weise entstehen ganz nach persönlichem Erinnerungsvermögen Sommer-, Winter, Frühlings- oder Herbstplatten. Bei mir hörte sich der Soundtrack zum August und September eigentlich bislang ganz anders an. Dass sich das jetzt geändert hat, liegt an Ihren Juliplatten, Kasbohm. ELO auf Platz eins. Hoppsa, dachte ich da. Und: vielleicht sollte man die auch mal wieder auflegen. Während also Out of the Blue durch meinen Player dudelte, fühlte ich mich gestern irrsinnig beschwingt und fast von meiner schon um die Ecke schauenden Winterphobie genesen. Es gibt tatsächlich kaum eine andere Band, mit der man einem tollen Sommer, der sich langsam auf die Südhalbkugel verpfeift, ein würdiges Denkmal setzen kann. (Die Russen werden das in diesem Jahr anders sehen, aber das jetzt näher zu beleuchten, würde vom Thema wegführen.)


Es ist eine gottlose Schande, dass modische Kapriolen im Laufe der Jahrzehnte ihr Comeback feiern dürfen, die dazugehörige Musik aber nicht. Wäre das anders, hätten ELO spätestens zum Jahrtausendwechsel ihr wohlverdientes Revival haben müssen, als auch der letzte Hans und Franz den elterlichen Kleiderschrank plünderte und die dort gefundenen Seventies-Klamotten auf die Straße schleppte. Ist doch komisch Kasbohm, oder? Da rennen die Leute mit Papis Ledermantel durch die Gegend und hören auf dem iPod Blink 182. Ich käme mir da irgendwie unauthentisch vor. Aber egal. Soll mal jeder so, wie er will.


Eines meiner musikalischen Lieblingsmysterien ist jedenfalls nach wie vor, warum Jeff Lynne im Laufe seiner Karriere mehr Hohn und Spott als Lobreden geerntet hat und sich heute kaum eine Sau mehr für ELO interessiert. Wenn man nicht gerade eine Allergie gegen Bombast-Pop, Streicher, Minipli-Frisuren oder tropfenförmige, getönte Brillen hat, ist kaum zu erklären, warum sich außer uns niemand mehr an das Electric Light Orchestra erinnern mag. Es leuchtet ein, dass ELO in ihrer Hochphase gegenüber dem Glam, dem Punk und zaghaft aufkeimendem Wave ziemlich weichgespült und nicht gerade als Gipfel der Coolness herüberkamen. Gegen Disco hatte Jeff Lynne ein Antidot, auch wenn sein Discovery gegen die Bee Gees ein wenig abgeschmackt klingt. Was mich damals nicht gehindert hat, Don't bring me down vom dicken Strüver, der in der Nebenstraße wohnte, auf Cassette zu überspielen und meine Eltern an den Rand des Wahnsinns zu treiben. Sicher, wir reden hier über Pop-Musik, der man – im Gegensatz zum Rock – ohne Untertreibung unterstellen kann, dass sie kaum bis gar nicht in der Lage ist, Leben zu retten. Dafür kann sie das Leben leuchten lassen. Und wenn man sich in den Siebzigern umschaut, gibt es nur eine Handvoll Bands, die das auf jedem Album locker geschafft haben. Greift man nur drei Platten aus jener Dekade aus dem großen Sack, erwischt man mit A New World Record, Out Of The Blue und schließlich sogar Discovery die Richtigen.


Komischerweise fallen einem bei der Frage, wer die Beatles besonders schamlos beklaut hat, zuerst die Gallagher-Brüder ein, aber wenn man dann mal in Richtung Jeff Lynne hinüber schielt, werden die Fußball-Prolls aus Manchester zu wahren Winzlingen mit Playmobil-Frisuren. Die Chorgesänge von ELO klingen geradezu, als wäre Lynne irgendwann ins Apple-Gebäude geschlichen und mit Spinnweben am Kopf und einem ranzigen Koffer voller Tonbänder in der Hand wieder herausgekommen. Daheim im lauschigen Studio noch ein paar Bratzgitarren, Keyboards und jede Menge Streicher oben drauf und fertig ist eine ELO-Platte. Merkt bestimmt kein Mensch. In Ordnung, wenn Sie mich fragen. Vorbilder braucht schließlich jeder. Fies fand ich nur, dass sich Jeff Lynne ab 1981 permanent selbst bestahl. Und dann noch Xanadu die Travelling Wilburys, Roy Orbison und... ach, man soll ja nicht ständig auf alten Sachen herumreiten. Denn auch die können die Glanzzeit von ELO nicht schmälern. Fleetwood Mac haben nach Tusk auch bloß Schrott produziert – man wäre kleinlich und dumm, wenn man ihnen deshalb auch Rumours übelnehmen würde. Und wer ELOs Living Thing nicht liebt, ist defintiv ziemlich arm dran, weil mausetot. (Allerdings wäre es interessant, das Stück infernalisch laut auf einer Schädelstätte abzuspielen, denn nach meinem unmaßgeblichen Dafürhalten erweckt das jeden Verblichenen in wenigen Augenblicken zu blühendem Leben.) Weil es jetzt auch wieder öfter regnet, sollte man sich außerdem unbedingt die komplette dritte Seite von Out of the Blue zu Gemüte führen: Concerto For A Rainy Day besticht vor allem mit Big Wheel. Man ertappt sich dann auch schon mal dabei, dass man vor der Stereoanlage ein imaginäres Orchester dirigiert (aber vielleicht mache auch nur ich das manchmal so).


Vermutlich rannten damals auch nur ältere Semester in die Konzerte, um Menschen mit Bärten geigen oder stocksteif Gitarre spielen zu sehen. Und natürlich verklärt die Zeit alle schlimmen Auswüchse. Aber das ist für unsere Leserschaft bittesehr nur ein weiterer Grund, musikalisch etwas nachzuholen, was man vielleicht noch nicht getan, aber schon lange hätte tun müssen – nämlich sich ein paar ELO-Platten zuzulegen. Am besten gleich morgen. Aspirin haben Sie doch schließlich auch immer im Schrank. Und wenn das nächste Mal die Sonne scheint, werden Sie glücklich sein, gleich das Richtige auflegen zu können. Das ist ein sehr guter Tipp. Gern geschehen. (Danken Sie nicht mir, danken Sie Jeff Lynne. Und dem Kasbohm, der freut sich sicher.)


Mir ist nach Streichern, Kasbohm und ich höre heuer ELO. Und ebenso jede einzelne Note, die die grandiosen, überwältigenden, einfach fabelhaften Tindersticks bis heute auf Platte gebannt haben, aber das ist natürlich schon wieder ein ganz anderer Beitrag. Ach, und mal nebenbei: sind Sie eigentlich seekrank geworden, auf Ihrer Kuttertour durch die Nordsee?


Dessen ungeachtet wünsche ich einen schönen Restsommer.

In elektrischem Licht.

VDL


Donnerstag, 29. Juli 2010

Mittendrin und voll daneben.





Lieber Partyhengst Kasbohm.


Als ich 15 war, sah ich in der Eilenriedehalle in Hannover das zweite Rockkonzert meines Lebens: Udo Lindenberg. Damals war der König des Eierlikörs ja noch ein cooler Hund (bevor er es unlängst fast wieder wurde) und wer in meiner Schule etwas auf sich hielt, hörte Udo und kaum etwas Anderes. Jedenfalls war damals die Halle dermaßen proppenvoll, dass man schon 20 Minuten bevor überhaupt das Licht ausging, im Stehen die Beine vom Boden lösen konnte, ohne einen Millimeter nach unten zu rutschen. Damals fand ich das einigermaßen lustig und spannend.


26 Jahre später kam ich ziemlich rechtzeitig im Innenraum der Alsterdorfer Sporthalle an, um dort Oasis zu sehen und zu hören. Einigermaßen arg- und ahnungslos stellte ich mich in zwei Metern Entfernung zur Bühne auf und fand mich kurz vor Beginn des Konzertes in der gleichen Erlebniswelt wieder, die ich mit den Lindenberg-Fans geteilt hatte. Allerdings war ich damals nicht von kreischenden Mädchen und Anhängern von Manchester City umgeben, die allesamt sowieso ein wenig gefährlicher und hemmungsloser auf mich wirken. Ich hielt den ersten Song noch einigermaßen aus und ließ mich dann von der Masse wie Zahnpasta aus der Tube an den Rand des Geschehens quetschen, wo ich zwar auch noch das eine oder andere Bier in meinen Jackenkragen geschüttet bekam, aber von Tanzaufforderungen zum Pogo halbwegs unbehelligt blieb. Jener Abend im Januar 2009, als ich mich langsam ein wenig zu alt für Konzerte in der ersten Reihe fühlte, fiel mir nun wieder ein, als ich die Bilder der Love Parade sah.


Nun kann ich zum eigentlichen Anlass und zur Motivation der Besucher nicht viel sagen. Diese Art von, nun ja, "Musik" und die dazugehörige Kultur haben sich mir nie erschlossen. Ich schlucke Pillen auch bloß, wenn sie mir der Arzt verschreibt und halte mich ansonsten mit Rotwein an den Handwerker unter den Drogen. Die Rave-Bewegung war wohl, neben der falschen Beschallung und den falschen Rauschmitteln, auch nie etwas für mich, weil ich Massenveranstaltungen gern meide. Bei der vermutlich im nächsten Jahr anstehenden, letzten Tour der Rolling Stones werde ich mit diesem Vorhaben wohl brechen müssen, aber das Publikum ist mit der Band entsprechend gealtert und es geht in der Regel halbwegs gesittet zur Sache. Bei der Love Parade ist das freilich etwas Anderes; die Ekstase und der Rausch sind da Hauptprogramm und wie dann eine solche Panik wie die der letzten Woche entsteht, kann ich einigermaßen nachvollziehen. In einer großen, gefährlich beengten Menschenmasse ist es äußerst schwierig, Ruhe zu bewahren. Nicht durchzudrehen und dem Fluchtimpuls nachzugeben (wenn eine Flucht gleichzeitig unmöglich ist), verlangt fast schon Yogi-Qualitäten. Nun kann man sich viele Gedanken über diese Tragödie, die Gründe und die möglicherweise Schuldigen machen. Eva Herman hat das getan. Eva Herman, Kasbohm? Kennen Sie noch? "Autobahn geht gar nicht!"? Eigentlich fand die in meiner ganz persönlichen Medienlandschaft nicht mehr statt, aber durch eine interessante Diskussion auf dem facebook-Profil eines Kollegen der Texter-Zunft hopste Frau H. plötzlich wie ein blonder Springteufel aus der sagenumwobenen Holzbox.


Gottlob leben wir in einem Land der freien Meinungsäußerung. Und man kann sich auch halbwegs vorstellen was es bedeutet, wenn man als ehemals geachtete Fernsehjournalistin plötzlich allseits ungeliebt auf Dussel-Seiten im Internet Artikel veröffentlichen muss, die keine Sau liest. Aber was die Frau H. heuer publizierend verbrochen hat, befremdet mich doch sehr. Schon durch die Headline und die biblische Analogie bekommt man den Verdacht, dass für Frau H. die Schuldfrage geklärt ist und die Strafe dafür nur gerecht sei. Wenn man dann wirklich zu viel Zeit hat und weiterliest, wird man das Gefühl nicht los, dass Frau H. den Tod von mittlerweile 21 Menschen einfach nur als willkommene Gelegenheit benutzt, ihre verknöcherten Moralvorstellungen ins Netz zu blasen. Dass sich Leute enthemmt die Klamotten vom Leib reißen und im Drogenrausch zu einer Art Musik kopulieren, das stört Frau H. anscheinend so gewaltig, dass sie sich an ihrer soziologischen Aufklärungsstory mit einem ordentlichen Schuss moralinsauren Giftes enorm verhebt. Natürlich ist es leichter, mit dem Vordergründigen der Veranstaltung Meinungsmache zu betreiben, als das Hintergründige der Tragödie zu beleuchten. Schlimm bloß, wenn so etwas dann derart zynisch, verbittert, inhuman und eindimensional daher kommt. »Die 68er haben ganze Arbeit geleistet.« verrät uns Frau H. Nun gut. Bei ihr waren das wohl eher die Fünfziger, die ihr irgendwie den Weg vernebelt haben. Aber was reg ich mich auf. Das heutige Medienangebot hat ja auch etwas sehr Gutes: während alle dürfen, muss man sich noch lange nicht alles antun. Und die komplette Bedeutungslosigkeit erwischt uns ja auch alle früher oder später. Im Fall Eva H. hoffe ich sehr auf Ersteres.


Aber Apropos 68er und jüngere Generationen: Demnächst unterhalten wir uns dann nochmal über die neuen Bewohner des Schlösschens Schöne Aussicht. Aber das fand ich jetzt gerade genauso wichtig, wie es das vor ein paar Wochen war.


Love, Peace & Understanding!

Ihr VDL



Freitag, 2. Juli 2010

Der Wulff im Schlafpelz



Also, mal ganz im Ernst: Viel besser hat die Präsidentenwahl doch gar nicht ausgehen können: Merkel, Westerwelle und Wulff sind bis aufs Außerste gedemütigt, und Gauck, der alte Geschichtsrevisionist, der eh schon seit langem so auftritt, als sei er Präsident von allem, ist es gottseidank nicht geworden.

Oftmals sehen Menschen aus irgendeinem finstren Grunde ja wirklich in etwa so aus, wie sie heißen. Christian Wulff ist aber der rare Fall von Jemandem, der wirklich exakt so aussieht, wie er heißt. Wie Gundula Gause. Kurze Haare, eine Langweilerbrille und das geradezu krankhafte Bemühen, sich mit jedem zu verstehen. Bzw: Bei jedem das Gefühl zu erwecken „Ich, der Christian, kann Dich verstehen.“ Meist aber mit dem Kalkül im Hinterkopf „Der kann mir nochmal nützlich sein.“ Das sind sogar manchmal ernsthaft nette Typen, nur so durch und durch langweilig und eigenschaftslos, dass man es morgens oft schon mit charaktervolleren Frühstückseiern zu tun hat. Jemand, der sich selbst zu Schülersprecherwahl aufstellen lässt, aber dabei völlig vergisst, dass keiner ihn richtig mag und schon gar nicht wählen würde. Jemand, der jeden ungefragt ankumpelt. „Ich sehe ja nicht so aus, aber ich verstehe die Jugend. Ich gehe übrigens zum U2-Konzert.“ Das ist alles nicht lustig, aber irgendwie dann doch.

Über den Blödsinn ausgerechnet „Die Linke“ als „SED-Nachfolgepartei“ zu titulieren, muss man in einem Land, in dem sich beide Koalitionsparteien ohne mit der Wimper zu zucken die sozialistischen Blockparteien unter die gierigen Nägel gerissen haben und eine Kanzlerin „regiert“ die im Osten wie im Westen Funktionärin war, wohl nicht zu reden. Und immerhin hat sie es geschafft, den eitlen, selbstgerechten Politkasper Gauck zu verhindern.

Was kann einem Besseres passieren als einen völlig charismafreien Politiker an der Spitze des Landes zu haben? Wenn Hitler die Ausstrahlung Wulffs gehabt hätte, der Welt wäre viel Elend erspart geblieben. Wulff ist zwar nur Grußonkel, aber auch dafür ganz prima geeignet. Wie Wohlfühlaromen in Kaufhäusern. Da fährt dann Barack Obama vom Präsidentenbesuch nach Hause und sagt zu seiner Frau: „Sag mal, erinnerst du dich noch daran, wie dieser,... äh,... dieser... Dings aussah? Komisch. Ich auch nicht. Aber das war doch sehr nett, bei dem, oder?... Hmm. ... Hast du noch einen Schimmer, worüber ich mit diesem, äh,... was hat der noch mal für ein Amt?... gesprochen habe? Naja, irgendjemand wird schon mitgeschrieben haben. Und wenn nicht, ists wahrscheinlich auch egal.“ So mag ich Deutschland. Unsichtbar.

Dienstag, 8. Juni 2010

Bafana Bafana? Natia Natia!




Von: Kasbohm

An: VDL

23.05.2010, 15:48


Feinsen, Herr van der Valk!


Kennen Sie die Serie eigentlich? Lief in den späten 70ern spät Abends im ZDF. Zu spät für mich, daher kenne ich nur den Namen.

Die nächsten Tage bin ich noch mit dem Essen und beschreiben kalter Suppen beschäftigt. Aber dann geiht los!


Pfrohe Pfingsten,

Van der Kaas



Lieber Sportsfreund Kasbohm.


Kalte Suppen. Ich weiß, ich weiß, die sind bestimmt ganz irre lecker aber ich störe mich bloß immer ein wenig am Begriff selbst. "Kalte Suppe" klingt so wie Bier ohne Alkohol oder Gitarre ohne Strom. Aber Arbeit geht ja vor – schauen Sie fremden Leuten gern in deren Töpfe. Natürlich freue ich mich, dass Sie mir bestimmt demnächst einen Teller Gazpacho vorbeibringen, aber eigentlich wollte ich mich mit Ihnen heute über das Thema unterhalten, welches die ganze Welt bewegt. Nein, das ist nicht das noch immer im Internet und der Wirklichkeit sprudelnde Bohrloch der bp und der abgemurkste Golf von Mexiko, auch nicht irgendwelche Sparpakete und erst recht nicht Deutschlands Vorleser Nummer Eins, Horst Köhler. Sondern natürlich Fußball.


Noch zwei Tage und die Weltmeisterschaft in Südafrika wird angetreten. In Deutschland planen laut Hamburger Abendblatt über 70 Prozent der hiesigen Bevölkerung, ein schwarz-rot-goldenes Accessoire am Auto anzubringen. Schön und gut, dass sich dieses Land nach der letzten WM einen natürlichen Nationalstolz aus der rechten Schmuddelecke zurückerobert hat und man sich wieder traut, offen und fröhlich mit den deutschen Farben herumzukurven. Gleich daneben habe ich aber vor wenigen Tagen darüber nachgedacht, ob die deutsche Fangemeinde eigentlich das Privileg der Teilnahme zu schätzen weiß. Hierzulande neigt man ja schnell dazu, Vieles selbstverständlich zu nehmen. Nachdem wir Papst sind, sind wir nun auch Grand-Prix (oder "Song-Contest", aber wer nennt das schon so?). Wir dürften auch ohne den Erfolg von Lena Awesome-Landruth immer wieder teilnehmen, was, wie ich mal gehört habe, an irgendwelchen finanziellen Spritzen für diese Veranstaltung liegt. Die Frage ist, ob wir uns die Beiträge aus Aserbaidschan, Zypern und England oder eine fiese Ponyfrisur aus Serbien auch antun würden, wenn Deutschland noch nicht einmal mit einer Ralph-Siegel-Platte vertreten wäre. Und was, wenn hierzulande die despektierlich getauften "Idiotenstandarten" keinen reißenden Absatz mehr finden würden, weil unsere Elf in Folge einer verhunzten Qualifikation in der Sonne liegen würde, anstatt um den Cup zu kicken? Mit Ausnahme von 1930 und 1950 war die deutsche Manschaft bei allen Fußball-Weltmeisterschaften dabei – für die Niederlande oder Dänemark, die Schotten, Iren, Briten und viele andere Teams gilt das keinesfalls. Was machen eigentlich diese ganzen Nationen, die sich nicht qualifiziert haben? Die Freude am Sport muss schon groß sein, wenn man sich einfach nur gute Spiele anschaut, ohne mit dem echten Feuereifer dabei sein zu können. Ich drücke neben Deutschland auch Holland, Dänemark und Spanien die Daumen und darf daher oft genug mit weiß angelaufenen Handknöcheln vorm Fernseher oder der Leinwand in der Hasenschaukel sitzen. (Freilich nicht, wenn Oranje spielt – ich bin nicht unbedingt auf Hämatome oder einen Milzriss scharf.) Aber nehmen wir zum Beispiel eine meiner ganz großen Lieblings-Nationalmannschaften: Amerikanisch-Samoa.


Wie wenig anhängig der Spaß am Spiel vom Erfolg ist, beweist die Elf von Amerikanisch-Samoa durchaus eindrucksvoll. 2002 mussten die Jungs in der Qualifikation gegen Fiji, Australien, Samoa und Tonga auf den Rasen und sind am Ende dann ganz unglücklich mit einem Torverhältnis von 0:57 ausgeschieden. Gegen Tonga gab es noch gute Chancen (Endstand: 0:5). Denkwürdig war jedoch die Partie gegen Australien. Zur Halbzeit hätte man beim Stand von 0:16 die Partie vielleicht noch irgendwie drehen können, aber am Ende war das Ergebnis von 0:31 doch etwas ernüchternd. (Ich würde hundert Piepen für einen Mitschnitt der Kabinenansprache zahlen.)


2004 schlug jedoch die große Stunde für Amerikanisch-Samoa. In der Qualifikation für die WM 2006 verlor man zwar gegen Vanuatu mit 8 Toren Unterschied, aber in der 39. Minute erzielte der Ballkünstler Natia Natia das erste Tor für die Nationalauswahl. Blöderweise wurden die Kicker des Inselstaates im Anschluss von Fiji und Papua-Neuguinea ordentlich abgerubbelt und verpassten die Tickets zur WM mit einem Torverhältnis von 1:34 einigermaßen knapp. Dafür dürfte Natia Natia vermutlich bis an sein Lebensende keinen Cent mehr für seine Drinks bezahlen müssen. Für die Statistiker unter uns: in der FIFA-Weltrangliste nimmt Amerikanisch-Samoa den letzten Platz ein. Teilt sich diesen aber mit fünf weiteren Mannschaften, was die ganze Sache durchaus relativiert, wie ich finde.


Was lernen wir daraus? Ich gehe davon aus, dass man auf Amerikanisch-Samoa ab Freitag gespannt nach Kapstadt, Durban oder Johannesburg schauen wird. Genauso wie in Hamburg, Kopenhagen oder London. Weil da unten rund ums Kap nämlich vier Wochen lang toller Fußball gespielt wird und es eigentlich vollkommen egal ist, ob man eine Fahne dazu schwenken kann. Natürlich ist es ein wenig vergleichbares Vergnügen, zwischen Autokorsos und Hupkonzerten im Stau nachhause zu schleichen oder bei Toren von Mario Gomez oder Cacau fremden Leuten um den Hals zu fallen. Dessen ungeachtet kann man aber allen Mitmenschen nur raten, mal ins Hamburger Portugiesenviertel zu gehen, wenn Christiano Ronaldo den Platz betritt. Oder beim Lieblingsitaliener einen Averna zu trinken, wenn die Squadra Azzurra gegen Paraguay kickt. Sport ist, wenn der Bessere gewinnt. WM-Fußball ist, wenn man sich kollektiv aufregt – und sich Menschen verschiedener Nationen gegenseitig Respekt erweisen. Da kann man als Schweizer auch mal Ghanaer oder als Deutscher auch mal Nigerianer sein. Nicht immer, aber manchmal. Wenn auch Natia Natia nie an einem internationalen Turnier teilnehmen wird – Bafana Bafana klingt ja so ähnlich und für die kann man auch mal die Vuvuzela blasen.


Ich hoffe, Sie sind in Top-Form, Kasbohm. Und freuen sich genauso wie ich auf die schönste Nebensache der Welt. Die ja auch woanders sehr beliebt ist, wie schon Heribert Faßbender wusste: »Fußball ist inzwischen Nummer 1 in Frankreich. Handball übrigens auch.«


Natia Natia!

VDL



Dienstag, 11. Mai 2010

Berg heil.




Grüß Gott, lieber Wanderfreund Kasbohm.


Da sitze ich nun wie so oft auf der schönen dänischen Nordseeinsel Rømø, die neben dem breitesten Sandstrand Nordeuropas auch ein skurriles Überangebot an niemals gebuchten Ferienhäusern bietet und schaue auf den Golfplatz vorm Fenster. Nicht dass ich jetzt schon Golf spiele, aber der Platz liegt eben zufälligerweise direkt vor "meinem" kleinen, ollen Ferienhäuschen und der Strand ist überflutet, weshalb es sich dort schlecht landsegeln lässt. Dieses kleine Ferienhäuschen verfügt übrigens auch über ein Fernsehgerät, welches ich aber eigentlich nie einschalte. Denn meistens (oder eigentlich immer) gibt es auf dieser Insel andere, sinnvolle Dinge zu tun. Ein Blokart irrwitzig schnell über den Strand bewegen, den Sonnenauf- oder -untergang anschauen, halbe Schweine und ganze Fische grillen, sich gegenseitig eine Frisbeescheibe zuwerfen oder einfach nur die Meeresbrise schnuppern und ein paar Gläser Irgendwas dazu trinken. Für mich ist dieses Eiland schon ziemlich nah dran an der heilen Welt. Und das bringt mich wieder auf den Fernseher. Der lief nämlich doch. Am Donnerstag. Einmal. Für eine Dreiviertelstunde. Und auch wenn ich jetzt zukünftig ein wenig putzig angeschaut werde: ich habe "Der Bergdoktor" geschaut. Und zwar deshalb, weil ich das immer tue, sofern der im Fernsehen läuft. Jetzt sind Sie platt Kasbohm, gell? Tja.


Die modernen, aufgeklärten und halbwegs intelligenten Menschen von heute kann man ja irgendwann zum Auspacken pikanter Details aus dem Schlafzimmer nötigen, aber wenn es um TV-Gelüste geht, gibt ohne Stromschläge, Wasserfolter oder Schlafentzug keiner zu, dass er um 20.15 die Bude verrammelt und das Telefon ausstöpselt, wenn das Traumschiff losfährt. (Ich hab ein Alibi, ich schau dann immer tatort.) Warum ich also heuer ohne Not so offenherzig bin? Weil Sie vollkommen recht haben, Kasbohm. Wenn man älter wird, soll man sich nicht gehen lassen, aber wenn der Anzug mal spannt (oder Ihr Hemdenknopf verlustig geht, wie unlängst in der Hasenschaukel), dann kann man darüber auch mal hinweg sehen. Über den Bauch. Und ganz selbstbewusst die eigenen Schwächen zwar nicht kultivieren, aber dennoch statthaft zum Besten geben. Eine meiner Schwächen ist nun schon seit zwei Jahren der "Bergdoktor" und den schaue ich. Basta. Ich hab schließlich gute Gründe dafür. Die Hauptfiguren dieser Serie agieren nämlich so erstaunlich gut und glaubwürdig, dass ich mich dieser Schmonzette nicht erwehren kann, so sehr ich das auch probiere. Wenn man mal auf Nuancen achtet, unterscheiden die sich vor allem auf höchst angenehme Weise von den Serienteilnehmern aus dem bayerischen Wald oder den allwöchentlich hölzernsten 45 Minuten, wenn sich die "Küstenwache" hanebüchen durch die Ostsee schaukelt. In solchen Serien wird "dargestellt" und nicht geschauspielert. Und man nimmt den Protagonisten rein gar nichts ab, schon gar nicht ihre Rolle. Ein Indiana-Jones-Hut und ein Deutsch-Drahthaar machen aus Hardy Krüger Jr. jedenfalls keinen Förster. Während beim Bergdoktor der Hauptdarsteller Hans Sigl ohne erkennbare Requisiten im Handumdrehen einfach ein Arzt aus den österreichischen Bergen ist. Und darüber hinaus einen wunderbar bauerngrünen Mercedes-Benz W-123 mit Holzkugeln auf den Sitzen fahren darf, worum ich ihn sehr beneide. Um den Mercedes, nicht um die Holkzkugeln. Auch wenn die ja sehr gesund sein sollen.


Gemein sind (neben dem Vorspann) bloß die wöchentlichen Nebenhandlungen. Oder Haupthandlungen, wenn man so will, weil das ja immer noch eine Arztserie ist, bei der der Arzt irgendwann auch mal seinem Broterwerb nachkommen muss. Die Krankheitsfälle und Geschichten, für die oftmals verdiente deutsche Fernsehgesichter in die Berge reisen und sich dort filmen lassen, sind so grauenhaft vorhersehbar, gemein schmalzig und gnadenlos überzogen, dass es einen schüttelt. Obendrein suchen sich die medizinischen Berater der Serie die tollsten Krankheiten aus dem Ärztebuch heraus und wenn man den Bergdoktor regelmäßig schaut, bekommt man durchaus Angst, mal nach Ellmau in Tirol zu fahren, denn in diesem Epizentrum des Krankseins beißt man aller Wahrscheinlichkeit nach schneller ins Gras, als in Tschernobyl oder Baku. Man fragt sich auch, wie der Sigl Hans das aushält. Ich persönlich habe ja keine Ahnung von solchen Sachen, könnte mir aber vorstellen, dass man sich als Schauspieler unwohl fühlt, wenn man gerade abgedrehte tolle Szenen zunichte machen muss, weil die nächste Einstellung verlangt, dass man mit einem Seuchenanzug durch ein Krankenzimmer in Tirol tapst. Würden die wöchentlichen Fälle von Lungenpest, Hirnfraß oder Autoimmunerkrankungen, die vermutlich höchstens 0,08 Prozent der Weltbevölkerung befallen, auf ein Mindestmaß reduziert und stattdessen hauptsächlich die Familiengeschichte des Dr. Gruber vor schicker Kulisse gezeigt werden, dürfte die Jury den Grimme-Preis vermutlich sogar persönlich nach Ellmau bringen. Die fein erzählten Stories, netten Running-Gags und Protagonisten, die sich spürbar Mühe geben, wären es wert. Auch, wenn wir hier nicht über großes Kino sprechen. Sondern über eine moderne Mixtur aus der "Geierwally" und "Dr. Prätorius". Bloß mit erstaunlich viel Stil.


Sowieso: warum muss es neben der Haupthandlung immer drei bis sieben Nebenhandlungen geben, zwischen denen das Drehbuch hypernervös hin und her hoppelt? Nehmen Sie mal den "Forellenhof" von 1965, eine "Familiengeschichte von Heinz Oskar Wuttig". Da gingen die einzelnen Episoden sogar fast eine Stunde. Und Hans Söhnker frühstückte in schwarz-weiß gute 5 Minuten lang mit seiner Filmgattin Jane Tilden und redete, was man eben so redet, wenn man nebenbei Brötchen halbiert oder Dosenmilch in den Kaffee gießt. Stoppen Sie mal mit, Kasbohm. Die Szenenwechsel im Fernsehen passen sich selbst bei den öffentlich-rechtlichen Sendern zeitlich langsam den Werbeplätzen an. 60 Sekunden müssen da für eine Einstellung reichen, sonst bekommen die Produzenten allem Anschein nach Bammel, dass der Zuseher zum Kühlschrank rennt, sich einem Kreuzworträtsel zuwendet oder beginnt, einen Quilt zu nähen. Wo ist die Kunst der langen Einstellung geblieben, die es Schauspielern ermöglichte zu SPIELEN und das Publikum mit Mimik, kleinen Gesten und schönen Worten für eine Geschichte einzunehmen und auf dem Sessel festzutackern? Heute muss alle eineinhalb Minuten ein Schwerlasttransport durch irgendein Wohnzimmer rauschen, damit das Publikum vor der Glotze nicht einnickt. Was ich persönlich eigenartig finde, denn durch mein Wohnzimmer rauschen nur äußerst selten Schwerlasttransporte und noch nicht einmal Omnibusse. Dafür halbiere ich weitaus öfter Brötchen oder gieße Milch in meinen Kaffee. Ist das echte Leben nicht mehr echt genug fürs Fernsehen? Und daher nicht wert, das Publikum zu unterhalten? Benötigt der Fernsehzuschauer von heute tatsächlich immerzu und ausschließlich Momente auf der Mattscheibe, die er selbst nie erleben wird?


Dabei sind die "Formate" hierzulande ja durchaus vorhanden. Zum Beispiel "Doktor Martin" mit dem hervorragenden Axel Milberg. Und der Bergdoktor könnte sich da gleich hintendran einreihen, wenn sich die medizinischen Berater und Drehbuchautoren mal auf das Wesentliche konzentrieren würden. Nämlich aufs Leben. Anstatt aufs Kranksein oder Sterben an nie gehörten Krankheitsbildern, für die vermutlich sogar weltweite Selbsthilfegruppen aus gerade 4 Menschen (davon zwei Angehörige) bestehen. Wo wir schon beim Dahingehen sind: die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Und die nächste Staffel Bergdoktor wird, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, demnächst gedreht. Blöderweise liest uns ja keiner (erst recht keine Drehbuchautoren des ZDF), aber man weiß trotzdem nie. Vielleicht zupfe ich die auch mal am Ärmel, wenn ich im September in die Berge fahre, um dort ein paar Tage Urlaub zu machen. Jawoll Kasbohm, ich schaue mir die wunderbare Kulisse und die halbwegs heile Welt mal in Farbe und ohne störende Glasscheibe dazwischen an. Und freue mich schon wie dusselig auf eine zünftige Tour im Wilden Kaiser, mit schmerzenden Knien und einer leckeren Brotzeit auf der Alm, wo es bekanntlich keine Sünde gibt. Oder wenn, dann nur hinter rot-weiß karierten Gardinen, was die Sünde umso interessanter und weitaus begehrenswerter macht. Ich liebe das Mittelmeer, aber selbst in Italien sind die Tischdecken auch nur noch selten rot-weiß kariert. Mal schauen, wie das in dieser Ecke Tirols so ist.


In Amerika schwappt das Öl in die Kinderstube der Natur, weil man sich bei der Vergabe der Bohrlizenzen 500.000 Piepen für eine Sicherungseinrichtung gespart hat (die es übrigens in Europa bis auf Norwegen auch nicht gibt – obwohl man für diese Summe noch nicht einmal eine geräumige Vierzimmerwohnung in Hamburg-Ottensen erwerben kann). Griechenland ist pleite, Spanien und Irland klamm und Portugal fragt auch bald nach einem Vorschuss auf Taschengeld. Das Leben ist kein Bauernhof.


Aber manchmal eben doch. Sonst hält man das doch alles auch nicht aus.


Servus,

Ihr Freund des Bergfilms,

VDL