Mittwoch, 30. Dezember 2009

Fick dich, 2009.




Ein Nachruf.

Lieber Kasbohm,


das ist mal eine Überschrift, die ein wenig von der Contenance vermissen lässt, die Sie sonst an mir schätzen, gell? Aber angemessen ist sie auf jeden Fall. Und nötig genauso.


30.000 deutsche Unternehmen pleite, Porsche unter der VW-Fuchtel, Ronald Pofalla, Guido Westerwelle und Dirk Niebel in ministerialen Würden und Frusciante steigt bei den Chili Peppers aus. Viel mehr braucht es ja eigentlich nicht, um unterm Strich festzustellen, dass 2009 ein Scheißjahr war. Oder doch? Kein Problem: Dieter Althaus mäht als Pistensau eine junge Mutter um, schafft es nicht öffentlich glaubhaft Reue zu zeigen, aber dafür im Amt bis zur Landtagswahl. Tim K. knackt den Knarrenschrank seines bis unter die Hutkrempe bewaffneten Papis und verwandelt (vermutlich mit einem bleistiftdünnen Pipimann in der Hose) im Pubertätswahn meine schwäbische Idylle in ein Schlachtfeld. Robert Enke setzt sich in Eilvese bei Hannover auf die Regionalbahngleise. Der VfB Stuttgart bleibt für Wochen im Tabellenkeller. Ich könnte noch viele Zeilen so weitermachen – und dabei bliebe mein persönliches 2009 noch unberücksichtigt. Würde ich da anfangen und weitermachen, hätte ich für Wochen im voraus zu tun. Ich will ja nicht persönlich werden und Sie mit intimen Begebenheiten langweilen, Kasbohm. Aber eine Sache steht für mich geradezu stellvertretend für den Umstand, dass mich die letzten 12 Monate dieser Dekade mal am Arsch können und zwar ganz gewaltig. Nämlich die Tatsache, dass ich meinen Porsche verkaufen musste. Nee Kasbohm – ich erwarte keinesfalls, dass Sie als Bahn- und Buspassagier nachvollziehen können, wie schwer so etwas ans Herz geht. Außerdem liegt der Verkauf meines Lieblings schon über 6 Jahre zurück. Was das dann mit 2009 zu tun hat? Nun warten Sie doch mal ab.


Zu Beginn dieses gerade ausklingenden Jahrzehntes wurde ja schon einmal eine Krise gefeiert – verglichen mit der dieses Jahres zwar ein Kriselchen, aber immerhin gab's damals auch für eine recht lange Zeit keine Jobs in der Reklamebranche. Ein gutes Jahr konnte ich das noch finanziell kompensieren, aber dann ging es ans Eingemachte. In meinem Fall ans Geparkte in der Tiefgarage; ein gutes Jahr nach 9-11 setzte ich also meinen 911 zum Verkauf ins Internet. Einer der ersten Interessenten war Jürgen Egger aus München. Ein Regisseur und Drehbuchautor (u.a. "Kleine Haie"), der sich besonders nach einem braunen Porsche umsah. Da war er bei mir richtig. Farbmusterwagen – nur einmal so lackiert – in rehbraun, Bj. 1983, Dezemberblatt im Porschekalender. Weil dieser Schlitten ein Jahr auf Porsche zugelassen war und in dieser Zeit auch mal an hohe Persönlichkeiten ausgeliehen wurde, wenn diese in Stuttgart weilten, lenkte jenen 911 u.a. auch mal Herbert von Karajan für zwei Wochen durchs Schwäbische. Stellen Sie sich hier mal einen kleinen Seufzer vor, Kasbohm.


Nun verkauft man einen alten Porsche nicht an irgendwen. Und so einen besonderen schon mal gleich gar nicht. Also war ich gottfroh, dass sich mit Jürgen Egger einer meldete, der schon in der E-Mail-Konversation deutlich machte, dass Autos für ihn weit mehr als ein Fortbewegungsmittel seien. Einige Tage nach der ersten Kontaktaufnahme schrieb er mich allerdings an und sagte freundlich ab. Er hatte die Gelegenheit, über einen Freund ein targa-Modell zu bekommen. Auch, weil seine Lebensgefährtin gerne mal oben ohne fuhr. Das las sich alles so, als wenn er eigentlich lieber meinen Wagen erworben hätte, aber was tut man nicht alles für besondere Frauen. Die Wochen und Monate vergingen jedenfalls und ich warf diverse Zeitgenossen aus meiner Tiefgarage. (Einem empfahl ich den Kauf eines Golf GTI und drohte zusätzlich kräftige Hiebe mit meinem Wagenheber an.)


Irgendwann meldete sich Jürgen Egger wieder. Das mit dem targa hätte nicht geklappt und auch auf die Gefahr hin, dass ich ihn für völlig übergeschnappt hielte, wollte er mal anfragen, ob mein 911 noch zu haben sei. Zwei Tage später setzte er sich in München in den Zug – aufgrund einer Mittelohrentzündung durfte er nicht fliegen – und kam nach Hamburg. In der Garage angekommen, stand dann ein riesiger Mann geschlagene fünf Minuten vor meinem Wagen, ehe er sich traute ihn anzufassen. Mit Augen wie ein kleiner Junge vorm Christbaum, unter dem eine Carrera-Bahn liegt. Wir verstanden uns auf Anhieb, machten eine Probefahrt (mit einem Gruß vom Getriebe, wofür er sich sofort entschuldigte) und er strich nach der Ankunft noch einmal geradezu liebevoll mit dem Finger über das Dach des Autos. »Dann machen wir mal den Vertrag fertig.« Keine Diskussionen über den Preis, keine unwürdige Feilscherei. In meiner Wohnung stand er dann relativ lange vor ein paar Sinatra-Fotos, die an meiner Wohnzimmerwand hingen. »Ich weiß«, meinte er, »dass das heute ein ganz beschissener Tag für Sie ist. Aber wenn ich mich hier so umsehe, dann merke ich, dass Sie genauso wie ich einen Sinn für besondere Dinge haben. Und ich kann Ihnen eines versprechen: der Elfer ist bei mir in den allerbesten Händen.« Er gab mir seine Visitenkarte: eine Filmproduktionsgesellschaft, die auf den Namen RAT PACK hörte und die unter seinem Namen die schönste Berufsbezeichnung trug, die ich jemals gelesen habe: Jürgen Egger. Consigliere. Solche Menschen muss man mögen. Wir unterhielten uns noch recht lange über Filme, Bücher und Musik, tranken Kaffee und qualmten meine winzige Küche zu. Dann erzählte er mir noch die Geschichte einer besonderen alten E-Gitarre, die er einem guten Freund nach einem Jahr Leihgabe aus dem Kreuz geleiert hatte und ich bekam eine weitere Bestätigung dafür, dass mein Porsche keinen besseren neuen Besitzer hätte finden können. Er meinte, es wäre zwar eine Zumutung und wollte mich eigentlich gar nicht fragen, aber er bat mich dann doch, ihm das Auto noch aus der engen und unübersichtlichen Tiefgarage heraus zu fahren. Wir verabschiedeten uns mit einem langen Händedruck und kurz vor Mitternacht des gleichen Tages bekam ich eine SMS: »Der 911 ist wohlbehalten in München angekommen. Liebe Grüße, Egger.«


Es ist gerade ein paar Tage her, da telefonierte ich mit meiner Freundin C. aus S. Weil jene junge Dame meine Liebe für Automobile teilt, erzählte ich ihr die Geschichte vom Verkauf vor ein paar Jahren und kam gleichzeitig auf die Idee, doch mal im Internet nachzuschauen, was Jürgen Egger wohl gerade so treibt. Ich klickte auf den ersten Link bei Google. Ganz oben standen zwei Zeilen. Jürgen Egger, geboren 1959 in Bamberg, gestorben am 1. Juli 2009 in München. Während des weiter laufenden Telefonates betrank ich mich ganz bewusst.


In seinem Eintrag bei Wikipedia sieht man ihn auf einem Foto mit der Gitarre, von der er mir erzählt hatte. Und in einem Nachruf einer Zeitschrift, für die er u.a. schrieb, wurde folgendes erwähnt: Wer Jürgen Egger persönlich kennenlernen durfte, wurde angenehm überrascht, dass der so messerscharf und sarkastisch formulierende Fast-zwei-Meter-Mann - nur komplett mit cooler Sonnenbrille, betagtem Porsche und zurückhaltend-sonorer Stimme - ein außergewöhnlich zuvorkommender und freundlicher, ja, geradezu höflicher Zeitgenosse war. Jürgen Egger starb am 1. Juli 2009 nach schwerer Krankheit. Er wurde nicht einmal 50 Jahre alt. Wir vermissen ihn schmerzlich. Ich hatte nur für ein paar Stunden Gelegenheit, diesen famosen Kerl kennenzulernen. Aber die haben gereicht um festzustellen, dass man im Leben gottlob immer mal wieder besondere Menschen trifft und sich daran freuen kann. Jürgen Egger war so einer. Und dass er 2009, mindestens 40 Jahre zu früh gestorben ist, passt einfach wie die Faust auf die Annalen dieses Scheißjahres.


Ich für meinen Teil trinke morgen Abend noch einmal einen Schluck auf ihn und die guten und wahren Dinge im Leben. Anschließend werde ich 2009 und die ganzen Frechheiten, die sich dieses Jahr bei mir persönlich geleistet hat, in ein dreckiges Loch kippen, allerlei Unrat und Fischabfälle darüber werfen und die letzten zwölf Monate dann einfach vergessen. Mitsamt den Adressen von einigen Gestalten, die mich viel zu lange beschäftigt haben. Bis auf Jürgen Egger werden keine Erinnerungen bleiben. Dieses Jahr hat nicht stattgefunden. Wenn mich jemand fragt, weiß ich von nichts. »2009? Da war ich gerade pinkeln.«


Ihnen ein frohes neues Jahr, Kasbohm. 2010 wird grandios. Sowas Ähnliches habe ich zwar vor einem Jahr auch schon mal gesagt, aber diesmal stimmt es.


Voraus blickend,

Ihr VDL



Dienstag, 15. Dezember 2009

Teenager und Drogen

Ich habe mich ja nun eine Weile in vornehmer Zurückhaltung geübt. Nicht aus Divenhaftigkeit sondern einfach, weil ich das Gefühlt hatte, zur Zeit nichts zu sagen zu haben. Und so viele Leute stopfen jeden möglichen Informationskanal mit den Sachen voll, die sie nicht zu sagen haben. Da wollte ich als leuchtendes Beispiel vorangehen, dem von möglichst vielen Folge geleistet werden sollte. Einfach mal die Fresse halten, wenn da eh nichts Interessantes rauskommt. Es ist nicht so, dass sich bei mir wahnsinnig viel geändert hätte. Aber ich habe mitbekommen, dass dieses Blog tatsächlich gelesen wird. Und ich will ja auch nicht unhöflich sein.

Ich habe mich gefragt, wann fing meine Äußerungsunwilligkeit eigentlich an. erstaunlicher Weise kann ich den Zeitpunkt genau benennen. Es war ziemlich exakt mit der letzten Bundestagswahl. Ich weiss nun nicht, ob die direkt etwas damit zu tun hat. Aber auf jeden Fall passt es irgendwie. Jetzt wo man nicht nur Merkel sondern auch Westerwelle jeden Tag vor Augen hat, was will man da noch sagen. Gaben die Sozen wenigstens noch in ihrer Bigotterie ein anständiges Feindbild ab, ist jetzt alles so so offensichtlich, so platt, so vorhersehbar. Die Wut ist intakt, aber das Bedürnis darüber zu kommunizieren ist weg. Es hat sich irgendwie erübrigt. Da ist einerseits der Drang, die alle in die Luft zu sprengen, weil sie mit ihrer überkommenen Ideologie (eher schon Religion) uns jeden Tag tiefer in die Scheisse reiten, andererseits möchte ich darüber nicht reden. Also wäre Wortlos in die Luft sprengen vermutlich die richtige Alternative.

Also genug davon. Der Van der Louw hat vollkommen recht, wenn er die neue Flaming Lips Platte mit der gebührenden Begeisterung lobt. Die hat sich ja auch einige böse Verrisse abgeholt. Erstaunlicher Weise wurde ihr oft vorgeworfen, anstrengend zu sein. Was sie nicht ist. Sie ist ein mit Drogen vollgepumptes Groovemonster. So wären Pink Floyd, wenn sie nicht doof wären. Man kann diese Platte vollkommen anstrengungsfrei durch die Gehirnwindungen sich schlängeln lassen. Das kitzelt vielleicht etwas, macht aber keine Mühe. Ausserdem, was sind das denn für Menschen, die sich von Platten überfordert fühlen, die anders sind, als sie erwartet haben. Musik ist ja keine Tapete. Musik, wie jede Kunst, soll einen auch gerne mal herausfordern. Und ich beneide den VDL darum, das dann auch live erlebt zu haben.

Ganz andere Musik, ähnliches Vergnügen. Die beste Duran Duran Platte, „Rio“, ist jüngst als Doppel-CD-Limited-Edition erschienen. Mit Demos und Dance-Versionen (die damals nicht gemixt wurden, sondern neu eingespielt. Länger und grooviger. Was das Erstaunliche an dieser Edition ist: Sie macht klar, dass Duran Duran eine wirklich ernsthaft gute Band waren. Die hat man ja damals nicht so richtig ernst genommen. Vermutlich weil die kleinen Mädchen sie toll fanden und sie ständig auf dem Cover der Bravo waren. Aber eine der wichtigen Lektionen ist: Was Popmusik angeht haben kleine Mädchen immer recht. Wenn man sich mal vor Ohren führt, was für Songs die Herren Rhodes. LeBon, Taylor, Taylor und Taylor geschrieben haben, als sie gerade mal zwanzig waren, kann man nicht anders als beeindruckt sein. Wenn man daneben dann die vielgeschätzten Zoot Woman hält, die ja auch gar nicht schlecht sind, aber soundmäßig eher eine Pastiche von dem sind was Duran Duran und andere in den frühen achtzigern gemacht haben, kommt man nicht umhin eines festzustellen: Wenn Zoot Woman auch nur einen Song geschrieben hätten, der vom Songwriting auch nur ansatzweise so stark wäre wie die frühen Stücke von Duran Duran, dann hätten sie dafür vermutlich ihre gesammelten Mütter und Großmütter an den Teufel verkaufen müssen. Bevor DD dann in der zweiten Hälfte der 80er in tiefste Tiefen abgestiegen sind, hatten sie nicht nur verdammt gute Songs, ein cooles Image und konnten aus ihrer Plattenfirma viel Geld rausleiern um Videos in der Karibik zu drehen, sie waren auch gute Musiker. Die Limited-CD hat zudem ein hübsches, dickes Booklet. Und im März gibt es dann das Gleiche nochmal mit dem Debüt-Album. Lohnt sich.

Soviel erstmal hierzu. Bezaubernd auch die Platte von Neil Hannon (Devine Comedy) unter dem Namen „The Duckworth Lewis Method“. Eine ganze Platte über Cricket. Muss man auch erstmal machen.

Nächstes Mal dann mehr von brennender politischer Brisanz. Oder über „Welt Kompakt“. oder was mir grad so über den Weg läuft. Ich wünsche gesegnete Vorweihnachtstage.