Donnerstag, 29. Juli 2010

Mittendrin und voll daneben.





Lieber Partyhengst Kasbohm.


Als ich 15 war, sah ich in der Eilenriedehalle in Hannover das zweite Rockkonzert meines Lebens: Udo Lindenberg. Damals war der König des Eierlikörs ja noch ein cooler Hund (bevor er es unlängst fast wieder wurde) und wer in meiner Schule etwas auf sich hielt, hörte Udo und kaum etwas Anderes. Jedenfalls war damals die Halle dermaßen proppenvoll, dass man schon 20 Minuten bevor überhaupt das Licht ausging, im Stehen die Beine vom Boden lösen konnte, ohne einen Millimeter nach unten zu rutschen. Damals fand ich das einigermaßen lustig und spannend.


26 Jahre später kam ich ziemlich rechtzeitig im Innenraum der Alsterdorfer Sporthalle an, um dort Oasis zu sehen und zu hören. Einigermaßen arg- und ahnungslos stellte ich mich in zwei Metern Entfernung zur Bühne auf und fand mich kurz vor Beginn des Konzertes in der gleichen Erlebniswelt wieder, die ich mit den Lindenberg-Fans geteilt hatte. Allerdings war ich damals nicht von kreischenden Mädchen und Anhängern von Manchester City umgeben, die allesamt sowieso ein wenig gefährlicher und hemmungsloser auf mich wirken. Ich hielt den ersten Song noch einigermaßen aus und ließ mich dann von der Masse wie Zahnpasta aus der Tube an den Rand des Geschehens quetschen, wo ich zwar auch noch das eine oder andere Bier in meinen Jackenkragen geschüttet bekam, aber von Tanzaufforderungen zum Pogo halbwegs unbehelligt blieb. Jener Abend im Januar 2009, als ich mich langsam ein wenig zu alt für Konzerte in der ersten Reihe fühlte, fiel mir nun wieder ein, als ich die Bilder der Love Parade sah.


Nun kann ich zum eigentlichen Anlass und zur Motivation der Besucher nicht viel sagen. Diese Art von, nun ja, "Musik" und die dazugehörige Kultur haben sich mir nie erschlossen. Ich schlucke Pillen auch bloß, wenn sie mir der Arzt verschreibt und halte mich ansonsten mit Rotwein an den Handwerker unter den Drogen. Die Rave-Bewegung war wohl, neben der falschen Beschallung und den falschen Rauschmitteln, auch nie etwas für mich, weil ich Massenveranstaltungen gern meide. Bei der vermutlich im nächsten Jahr anstehenden, letzten Tour der Rolling Stones werde ich mit diesem Vorhaben wohl brechen müssen, aber das Publikum ist mit der Band entsprechend gealtert und es geht in der Regel halbwegs gesittet zur Sache. Bei der Love Parade ist das freilich etwas Anderes; die Ekstase und der Rausch sind da Hauptprogramm und wie dann eine solche Panik wie die der letzten Woche entsteht, kann ich einigermaßen nachvollziehen. In einer großen, gefährlich beengten Menschenmasse ist es äußerst schwierig, Ruhe zu bewahren. Nicht durchzudrehen und dem Fluchtimpuls nachzugeben (wenn eine Flucht gleichzeitig unmöglich ist), verlangt fast schon Yogi-Qualitäten. Nun kann man sich viele Gedanken über diese Tragödie, die Gründe und die möglicherweise Schuldigen machen. Eva Herman hat das getan. Eva Herman, Kasbohm? Kennen Sie noch? "Autobahn geht gar nicht!"? Eigentlich fand die in meiner ganz persönlichen Medienlandschaft nicht mehr statt, aber durch eine interessante Diskussion auf dem facebook-Profil eines Kollegen der Texter-Zunft hopste Frau H. plötzlich wie ein blonder Springteufel aus der sagenumwobenen Holzbox.


Gottlob leben wir in einem Land der freien Meinungsäußerung. Und man kann sich auch halbwegs vorstellen was es bedeutet, wenn man als ehemals geachtete Fernsehjournalistin plötzlich allseits ungeliebt auf Dussel-Seiten im Internet Artikel veröffentlichen muss, die keine Sau liest. Aber was die Frau H. heuer publizierend verbrochen hat, befremdet mich doch sehr. Schon durch die Headline und die biblische Analogie bekommt man den Verdacht, dass für Frau H. die Schuldfrage geklärt ist und die Strafe dafür nur gerecht sei. Wenn man dann wirklich zu viel Zeit hat und weiterliest, wird man das Gefühl nicht los, dass Frau H. den Tod von mittlerweile 21 Menschen einfach nur als willkommene Gelegenheit benutzt, ihre verknöcherten Moralvorstellungen ins Netz zu blasen. Dass sich Leute enthemmt die Klamotten vom Leib reißen und im Drogenrausch zu einer Art Musik kopulieren, das stört Frau H. anscheinend so gewaltig, dass sie sich an ihrer soziologischen Aufklärungsstory mit einem ordentlichen Schuss moralinsauren Giftes enorm verhebt. Natürlich ist es leichter, mit dem Vordergründigen der Veranstaltung Meinungsmache zu betreiben, als das Hintergründige der Tragödie zu beleuchten. Schlimm bloß, wenn so etwas dann derart zynisch, verbittert, inhuman und eindimensional daher kommt. »Die 68er haben ganze Arbeit geleistet.« verrät uns Frau H. Nun gut. Bei ihr waren das wohl eher die Fünfziger, die ihr irgendwie den Weg vernebelt haben. Aber was reg ich mich auf. Das heutige Medienangebot hat ja auch etwas sehr Gutes: während alle dürfen, muss man sich noch lange nicht alles antun. Und die komplette Bedeutungslosigkeit erwischt uns ja auch alle früher oder später. Im Fall Eva H. hoffe ich sehr auf Ersteres.


Aber Apropos 68er und jüngere Generationen: Demnächst unterhalten wir uns dann nochmal über die neuen Bewohner des Schlösschens Schöne Aussicht. Aber das fand ich jetzt gerade genauso wichtig, wie es das vor ein paar Wochen war.


Love, Peace & Understanding!

Ihr VDL



Keine Kommentare: