Sonntag, 30. August 2009

Heute von gestern.




Alter Schwede Kasbohm!


Früher war alles besser. Nie, und ich meine wirklich niemals, habe ich meine Eltern, ja noch nicht einmal meine Großeltern diese vier Wörter sagen hören. Warum ausgerechnet ich unser digitales Poesiealbum jetzt mit diesem klischeehaften Sommerloch-Blödsinn bereichere, wollen Sie wissen? Sag ich Ihnen: ich hab gestern Springsteen gehört. Und nicht das heuer hoch gelobte Spätwerk Working on a dream (eher langweilig) oder Magic (tatsächlich langweilig). Auch nicht das tolle Devils and Dust, das verkannte Tunnel of Love oder das ewige Born to Run. Nö. Ich hab Born in the U.S.A. gehört. Und zwar rauf und runter, kreuz und quer und richtig laut. Mehrmals. So. Das bratze ich Ihnen jetzt mal so hin, Kasbohm und sogar ganz ohne rot zu werden. Wenn man es erstmal über den Classic-Rock-Radio-verseuchenden Opener geschafft hat, ist einem auch die Reputation gegenüber der Nachbarschaft Wurst. Dann wirft man sich mit Verve in Bobby Jean oder Darlington Country, schwoft mit dem Schrubber zu Cover me. Das ist natürlich nur im übertragenen Sinne gemeint, obwohl ich weiß, dass Sie mich gerne in Kittelschürze und mit Fliegenpilz-Clogs beim rockenden Hausputz erwischen würden, um mich der Lächerlichkeit preiszugeben. Doch der von unserer Hausverwaltung angeheuerte Gärtner hat die Bäume und Büsche vor meinen Erdgeschossfenstern empfindlich gestutzt und mein Leben wird zunehmend öffentlicher. Luftgitarre fällt also ab sofort flach. 


Ich frage Sie, Kasbohm (und zwar GEZIELT!): warum ist vielen Menschen, die sich damals nach Dancing in the Dark weiße T-Shirts gekauft haben, Born in the U.S.A. heute eigentlich peinlich? Wegen der Bauarbeiter-Pose? Den Röhrenjeans? Oder doch tatsächlich aufgrund der hochamerikanischen Attitüde dieses Albums? Ich bin ratlos. Schließlich ist Born in the U.S.A. eine recht famose Rock'n'Roll Platte, zu der man teilweise sogar Rock'n'Roll tanzen könnte, wenn man wollen würde. (Dabei fällt mir wieder ein, was ich Ihrem letzten Eintrag entnehmen konnte: Sie sind Tänzer?!? Nun gut. Ach ich will jetzt nicht wieder mit den Pet Shop Boys... das nutzt sich ja auch mal ab, irgendwann. Gottes Mühlen mahlen langsam, Kasbohm, nur so viel sage ich dazu.) 


Jedenfalls war früher alles besser. Das ging mir gestern so durch den Kopf, als ich den Boss durch meine Ohrmuscheln gniedeln und nuscheln ließ. Kann man ja mal machen. Geht ja, wenn man über 40 ist, erblich bedingten, partiellen Haarausfall zu beklagen und einen Schluck Bier zu viel getrunken hat. Legitim. Früher war alles besser. Ha! Auch das Hineinsteigern ist lustvoll und spaßig. In etwa bei I'm on Fire erinnerte ich mich an die Zeit, als ich besagte Platte frisch erstanden hatte. 1984 hörte ich Springsteen auf meinem klapprigen Fahrrad mit Schwalbenlenker jeden Tag und das Tolle daran war, dass mir diese (wie auch manch andere Scheibe, die ich auf diese Art konsumierte) näher und näher wurde. Damals hatten Langspielplatten ja noch u.a. als Qualitätsmerkmal, dass sie auf eine Seite einer 90er Kassette passten. Was bei Springsteen nur um wenige Akkorde Überhang der Fall war. Und wenn ich gerade so richtig in Fahrt war, konnte ich Glory Days oder No Surrender eben nicht per Knopfdruck gleich nochmal hören. Hätte man zurückspulen müssen. Ist der iPod daher eine positive Errungenschaft? Wenn Sie mich mal im Dunkeln fragen: Mitnichten. Denn aufgrund technischer Beschränkungen war man damals gezwungen, Platten in Gänze durchzuhören und konnte am Ende auch schwächeren Stücken im Gesamtwerk etwas Gutes abgewinnen. Der iPod hingegen ist zwar formschön und überaus praktisch. Trotzdem aber der Pickel am Arsch der Neuzeit, in der uns Amazon und iTunes mit 20sekündigen Probehäppchen pervertieren und einzelne Tracks von als Album erdachten Platten downloaden lassen. Durch das Internet wird Musik zur nicht enden wollenden Hitparade des Schnellkonsums. Früher war das besser. Jawohl. Ein hübscher Gedanke. Natürlich unsinnig und schematisch, aber man kann sich so schön drin suhlen wie eine glückliche Haussau auf einem Bio-Bauernhof im Besitz von Vegetariern. Doof bloß, dass sich das schlecht ausknipsen lässt, wenn man mal angefangen hat. Wie ich dann heute bemerken musste, als ich mit unserem gemeinsamen Sportsfreund SM das Samstagskaffeeritual beging. Danach der lieb gewonnene Abstecher in den Plattenladen. Unter anderem erstand ich dort schwedische Erstausgaben von Abbey Road und Rubber Soul, die Maxi-Single von All I need is everything der wunderbaren Aztec Camera (wonach ich seit Ewigkeiten gesucht habe) sowie Gloria Gaynors Never can say Goodbye als Longplayer in Mint Condition. Tja. Alles olle Platten. Warum? Weil früher... naja, wie erwähnt. 


Aber Achtung! Ebenfalls knallte ich dem Verkäufer heute etwas halbwegs Neues auf den ranzigen Verkaufstresen: Nämlich das

grandiose Cardinology von Ryan Adams & The Cardinals, streng limitiert und in herzerwärmendem rotem Vinyl. Und da schließt sich der Kreis. Nicht bei Cardinology, sondern bei Ryan Adams. Denn der hat 2001 mit Gold nicht nur die beste Platte der letzten 50 Jahre fabriziert, sondern auch sein persönliches Born in the U.S.A. in die Welt entlassen. Inklusive stark ähnelnder Covergestaltung. Gold ist deshalb so einzigartig und berauschend, weil man nach 16 Stücken so gut wie jedes, durch zeitgenössische Musik auszulösende Gefühl erlebt hat. Den Gedanken, dass alles, ja einfach alles heute, morgen oder auch übermorgen möglich ist. Das Gefühl, das der Stoff einer brandneuen Jeans auf den Oberschenkeln erzeugt. Die Überraschung, dass Oliven in einer italienischen Stadt wirklich gut schmecken können, erst recht in der Nachmittagssonne und vor allem in Gegenwart einer atemberaubenden Frau, die im Begriff ist, einem das Herz zu brechen. Ryan Adams hat nicht einfach nur ein paar Musikstücke aufgenommen. Er hat von der Morgensonne erwärmte Jalousien vorm Hotelfenster vertont, den Duft vom Meer unten am Hafen oder von Benzin an einer alten, verwitterten Tankstelle im Niemandsland. Gold blendet wie die Sonne im Hochsommer, regnet über einem ab wie ein kurzer Schauer, hüllt einen ein wie eine Decke am Feuer. Musik aus der Zeit, in der man dachte, zwei Schachteln Kippen und ein Glas zuviel würden einen niemals umwerfen, geschweige denn den nächsten Morgen vermiesen können. Mit diesem Album wird man sich wieder gewiss, dass einen höchstens die Liebe auf die schlimmsten Arten meucheln kann. Und nicht Steuerschulden, ein intriganter Abteilungsleiter oder eine verpasste Darmkrebsvorsorge. Und darum ist heute alles besser, als früher. Was genauso doof und stereotyp ist, aber tröstlicher.


Kommen wir also nunmehr zur lang erwarteten Abschlussbetrachtung dieses Themas. Früher war vieles besser. Springsteen war noch nicht 60. Peter Maffay auch noch nicht, wurde dafür aber standesgemäß und vollkommen berechtigt im Vorprogramm der Stones mit Flaschen, Dosen und Obst diverser Art beworfen. Waterboarding klang noch wie eine neue Sportart. KISS sahen noch nicht wie lackierte Mettwürste aus. Und ein VW Polo nicht wie ein neuer Golf, sondern wie vier Gartenstühle mit Karosserie drumherum. In meiner Erinnerung ist der Sommer orange mit drei hellblauen Streifen. Und hatte noch keine Löcher, jedenfalls keine so thematischen, wie dieser Beitrag heute.


Doch weil Ryan Adams über unseren Erdball strolcht und hoffentlich weiterhin jedes Jahr mindestens eine Platte produziert, ist heute die Welt ein ganzes Stück toller als sie zuvor war. Das trifft sogar auf die Zukunft zu! Jedenfalls bis morgen, wenn im Osten gewählt wird. Aber das überlasse ich jetzt mal Ihnen, Kasbohm. 


Morgen sicher nicht mehr gestrig,

Ihr VDL

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