Montag, 20. April 2009

Verlangen Sie den Frühling!

Verehrter, manipulierter Kasbohm!

Führerwetter heute. Wobei mir einfällt, dass man sowas ja gar nicht mehr sagen, geschweige denn schreiben darf. Mein Opa durfte das zwar nach dem Krieg eigentlich auch nicht, hatte aber schon immer einen feinen Sinn für Ironie. Und für das Aberwitzige an der Gestalt des uniformierten Österreichers mit dem schlimmen Frisör sowieso. Opa hatte sich bis 1944 an der Westküste herumgetrieben, sich eine belgische Schäferhündin zugelegt (ob das Tier darüber hinaus auch eine Besitzerin hatte, ist bis heute familienintern ungeklärt) und wartete sehnsüchtig auf den D-Day, um sich kurz darauf ohne jeglichen Schusswechsel endlich von den Engländern hopsnehmen zu lassen. Zwar nur mit den Fähigkeiten eines Hobbykochs gesegnet, hob er trotzdem hinter britischem Stacheldraht die Hand, als ein Koch gesucht wurde (Sie hätten seine handgeschabten Spätzle kosten sollen, Kasbohm! Und den Karpfen! Zwei Gedichte!). Während andere also mit grauenhaften Bildern im Kopf aus Adolfs Traum vom tausendjährigen Reich heimkehrten, waren das bei meinem Großvater nur ein paar Kilo zu viel. In Folge dessen lachte Opa das dritte Reich auch nach Fünfundvierzig einfach immer hinfort und machte sich insbesondere am 20. April über die deutsche Vergangenheit veritabel lustig. Die heutige Verarsche und den Helge Schneider-Streifen hätte er geliebt, ich bin sicher.

 

Warum mir das gerade einfällt? Haben Sie schon mal TV-Werbung vor 20.00 Uhr im öffentlich-rechtlichen Programm gesehen? Also den Treppenlifter-Abführmittel-Zahnersatz-Gelenke-im-Arsch-Reklameblock? »Fragen Sie bei Ihrem nächsten Besuch GEZIELT nach der Apotheken-Umschau!« Im Spot hört man das Ausrufezeichen deutlich. Ersetzen Sie mal das erste Wort (»VERLANGEN Sie...«) und sagen Sie das Ganze mit dezent österreichischem Akzent und rollendem R auf. Na? Falls Sie das also bislang nicht wussten, Kasbohm: die Apotheken-Umschau ist IHR GUTES RECHT! DIE STEHT IHNEN ALS DEUTSCHER STAATSBÜRGER ZU! Wenn Sie sich also demnächst wie jede Woche zum liebgewonnenen Termin Ihre Krankenhauspackung Alka-Seltzer abholen: FRAGEN SIE GEZIELT! Und wenn der Apotheker irgendwelche Ausflüchte macht (»... is gerade vergriffen.« oder »Da muss ich erst meine Mitarbeiterin fragen...«) – gleich die Bullen rufen.

 

Überhaupt Reklame. Ich muss jetzt umgehend meinen Telefonanbieter wechseln. Bin ich damals noch dem schönen hanseatischen Gedankengang gefolgt, mit Alice würde das Geld „in der Stadt bleiben“ und man bekäme angesichts des scharfen Testimonials mit jedem Werbemittel und jeder Abrechnung noch ein paar Bilder für feuchte Träume obendrauf gelegt, musste ich nun unlängst feststellen, dass das Mädel zur Ausbilderin eines singenden US-Marine-Camps mutiert ist. Wer auch immer sich diesen Quatsch hat einfallen lassen, gehört für mindestens 10 Jahre in den Werbeknast und soll sich dort bei Meditonsin und Dulcolax die Zelle mit dem Trigema-Affen teilen. Was soll das? Und wenn man schon so einen Unfug verzapft, dann doch bitte wenigstens durchgängig! Also eine Kundenhotline, die auf jede meiner Fragen mit »Sir, ja Sir!« antwortet und kostenloses DSL-Zubehör in Flecktarn. Dann könnte man das wenigstens noch halbwegs feiern.

 

So wie das Führerwetter heute. Während man, als in dieser Stadt lebender Mensch, ja schon langsam misstrauisch wird und jeden Sonnenstrahl genießt, als wär’s der Letzte im Leben, KANN man ja eigentlich gar keine Rockmusik hören. Für Ryan-Adams-Countryrock (der ja jetzt Americana heißt), ist es noch nicht heiß genug. Also muss man sich lässig hingeworfenen Melodien widmen, in Harmonieseligkeit schwelgen, Chöre, Trompeten, Streicher jubilieren lassen. Richard Ashcroft tut dies gerade für mich. Da hatten die dickeierigen Gebrüder Gallagher ja dann doch mal recht. Die Lobhudelei der beiden gegenüber der Pop-Konkurrenz ist mir zwar irgendwie suspekt und beruht – wenn Sie mich fragen – nur darauf, dass Herr Ashcroft einen Kopf größer als Liam ist und ihm also jederzeit problemlos die Münchener Implantate hinausbefördern könnte. Wie dem auch sei: ob im Verve-Konglomerat oder allein auf weiter Flur, ist Richard Ashcroft auf ewig der Prinz der Seichtigkeit. Lässiger kann man manische Depression kaum praktizieren. Und auch wenn sich da Parallelen auftun, können Coldplay, Keane und ähnliche Witzfiguren an solchem Genie gerade mal schnüffeln. Gegenüber Chris Martin ist Ashcroft sogar in der Lage, seinen Kindern vernünftige Namen zu geben. Abgesehen von seiner tatsächlichen Unfehlbarkeit in der Melodik. Hören Sie mal die Streicher am Ende von „A Song for the Lovers“. Makellos. Oder das Piano zu Beginn von „Cry til the morning.“ Das geht Ihnen durch die Knochen wie ein Röntgenbild. Seit geraumen Jahren versuche ich nun schon, mich an diesen Arrangements satt zu hören. Nix. Auf NDR 2 klingt sowas sauber kalkuliert und blitzeblank durchproduziert. Aber machen Sie zuhause mal das Licht aus, hören Sie „Check the meaning“ und trinken Sie ein paar Pullen spanischen Rotwein dazu. Da sind Sie platt! DAS haben Sie von mir nicht gedacht, wie? Der Nietengürtel ist in der Wäsche! Die von Ihnen bis zu diesem Punkt meines Eintrages sicher erwartete (und berechtigte) Bestrafung für Ihre Computermusikfantastereien ist keinesfalls vergessen, bleibt aber heute aus! Stattdessen reiche ich Ihnen einen Ölzweig! VDL lässt heute mal die Tulpen quietschen und dicke Hummeln auf seiner Glatze landen!

 

Got my mind meditating on love.

 

Frühlingshaft, Ihr

VDL

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