Montag, 1. Juni 2009

Zukunftsmusiken und Vergangenheitsmusiken


So, nachdem ich den Vormittag zur Auffrischung meines Sonnenbrands im Antonipark verbracht habe, kann ich mich jetzt auch mal wieder hinter zugezogenen Vorhängen an den Rechner setzen. Der Antonipark ist eine feine Einrichtung: Mal kann man sich über die Medienspacken aufregen (z.B. die Dame, die neulich mit einem Hund bewaffnet die Menschenliegewiese betrat, da sie offenbar die Menschenwiese und die wenige Meter entfernte Hundewiese nicht voneinander zu unterscheiden vermag. Bekleidet war sie mit einer kurzen Jeans, einem Bikinioberteil, weil es ja warm war, und einem schweren Hut- Mützenhybrid, weil sie trotz der Hitze sehr angestrengt demonstrieren musste, dass sie sich für irre interessant und unkonventionell hält. Was sie noch dadurch unterstrich, dass sie die ganze Zeit in überhöhter Lautstärke aus ihrem sogenannten Leben erzählte, während ihre Töle die Wiese verheerte. Da war ich doch kurz davor, sie mit der getrockneten Hundescheisse zu bewerfen, die ich unweit meiner Lagerstätte fand) mal über die alteingesessenen (in more than one way) Alkoholiker freuen, die sich von dem Yuppiegesocks nicht vertreiben lassen. Und die dafür sorgen, dass der Park tatsächlich immer ausgesprochen sauber ist und niemand aus der Reihe tanzt. Die haben da so eine Art Hausmeisterfunktion. Das gefällt mir.

Wilco sind tatsächlich eine recht feine Band, auch wenn sie mir nicht den finalen Kick versetzt haben. Ich mochte ja die Vorgängerband Uncle Tupelo immer lieber, insbesondere das wundervolle Country-Folk-Album „March 16-20, 1992“. Bei Uncle Tupelo gab es ja neben dem Beatles-Traditionalisten Jeff Tweedy auch noch den Folk-Traditionalisten Jay Ferrar. Dessen Solowerke und die seiner Band Son Volt sind mir dann doch etwas näher als die Tweedys, aber doch, auch die wissen zu gefallen. Vielleicht ein etwas zu gefälliges Gefallen, aber doch gefallend genug, um von mir gleich mal wieder herausgekramt zu werden.

Noch besser gefällt mir in diesen sonnigen Tagen aber die sehr englische Eleganz der sagenhaften Pale Fountains. Sie wissen schon, Herr VDL, mein Lieblingsthema: Aufbegehren mit Eleganz. Da liegt Herr Bacharach in Hawaii-Badehose mit den Smiths in der Sonne und sogar der junge Morrissey erfreut sich an den Kleinigkeiten des Lebens. So in etwa. An Eleganz und Intelligenz in der heutigen Popszene unübertroffen sind aber, es tut mir Leid, immer noch die Pet Shop Boys, wie ich nach Ansicht der Doku „A Life In Pop“ noch einmal betonen muss. Das sind ja nicht nur erstklassige Songschmiede im konservativen Sinne, sonder auch noch angenehme unprätentiöse Typen, die dazu noch mit ausreichend Selbstdistanz wissen, was sie da tun. Beides Seltenheiten in der Branche, sag ich mal. Da überlegt man sich ja schon allein aus Stilgründen zur Homosexualität zu konvertieren. Wenn wir Männer nur nicht so verdammt unattraktiv wären.

Den Vormittag im Park verbrachte ich zur Hälfte mit der Lektüre des ersten Bandes der gesammelten Kurzgeschichten von Philip K. Dick, die letztes Jahr endlich gebündelt bei Zweitausendeins erschienen und zur anderen Hälfte darüber grübelnd, warum Science Fiction einen derart schlechten Ruf hat. Schon bei der Erwähnung des Genres stopfen sich ja viele die Zeigefinger tief in die Ohren und fangen an Kinderlieder zu singen, um nicht weiter zuhören zu müssen. Irgendwie scheinen sich die Klischees aus Großvaters Groschenheften genetisch zu vererben. Laserschlachten, mutige Captains, Raumschiffe etc. Dabei sind die guten SF geschichten ja immer Parabeln auf die Zeit in der sie entstanden sind. Und gerade Dick hat die bedrückendsten, paranoidesten Dystopien über die Frage „Was ist wirklich?“ geschrieben und ist damit nicht „ein großer SF-Autor“ sondern einer der größten amerikanischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Right up there mit Thomas Pynchon, Don DeLillo etc. Und auch der kürzlich verstorbene und von mir erst im Zuge dessen entdeckte Brite JG Ballard („Crash“) ist ein hellsichtiger Chronist seiner zeit und der Abgründe des menschlichen Wesens im Allgemeinen. Und dazu im Umgang mit Worten geradezu ein Poet. Da hat alles Farbe, Rhythmus und Präzision. Und keine Raumschiffe sondern langsam verfallende Sozialgefüge in Luxusapartments bis die marodierenden Mietparteien anfangen sich gegenseitig zu kannibalisieren, Sex, Tod, und Verstümmelung. Und was will man mehr von seiner Strandlektüre.

Aber apropos Mietparteien: Sie haben natürlich vollkommen recht. Sollte dieses Europa möglichst weit entfernt lieben, dann würd ich die auch alle dahinschicken. Ich würd aufstehen, mein Kreuzchen machen und am Flughafen noch winken während die abbezahlten Parteienfunktionäre den Flieger gen Europa besteigen. Und wenn ich Zeit hätte, würd ich ihnen vielleicht noch eine kleine Überraschung in den Gepäckraum legen. Ich bin ja gar nicht so.

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