Samstag, 30. Mai 2009

Politisch korrekt.


Lieber Parteifreund Kasbohm!


Dass Sie mir nicht politikverdrossen werden, bei den ganzen Tiraden des Geifers, die Sie da loslassen. Dem Herzen nach immer noch ein Sozi, folge ich Ihnen inhaltlich dennoch in so manche Ecke und wüsste aber in der Tat nicht, wem ich nach Europa folgen sollte. Wo liegt eigentlich dieses Europa? Ich fühl mich eher, als würde ich immer noch in Hamburg wohnen und in Katalonien Urlaub machen. Und wenn ich mir die Wahlwerbung so anschaue, möchte ich sowieso, dass die Christliche Mitte, die Rentnerpartei und die Nazis nach Europa gehen, solange das nur hübsch weit weg ist. Das mag jetzt politisch (und kosmopolitisch vor allem!) nicht ganz einwandfrei von mir sein, aber das kratzt mich nur mäßig. Ich sag Ihnen nämlich jetzt, was politisch korrekt ist, Kasbohm: das neue Wilco-Album! Obwohl es das ja eigentlich noch gar nicht gibt! Und da, ja genau da hoppelt der Hase durch den Pfeffer. Eine tolle Geschichte ist das. Krallen Sie sich mal in Ihrer Sofalehne fest!


Nicht genug nämlich, dass diese Kapelle aus Chicago ohnehin ganz einfach feine Musik macht. Nee – da hat irgendein Schmutzfuß doch glatt eins der Bänder aus dem Studio gemopst und im Internet geleakt, wie das so schön neuenglisch heißt. Also allen geneigten Datendieben zugänglich gemacht, obwohl das echt politisch inkorrekt und auch irgendwie fies ist. Studiomieten, Produktion, Catering, Schampus für die Groupies: das kostet doch alles ordentlich Schotter! Welches die armen Wilcos mit den Plattenverkäufen mühsam abstottern müssen! Und dann kommt einfach so ein Frettchen daher und versaut denen den Kontostand. Schande über den Wicht! In den See! Mit einem Gewicht an den Füßen! Oder besser: zu den Schweinen! Und ein gemeinsames Taschentuch verwenden!


Das Tolle an der ganzen Geschichte ist jedoch, dass das Wilco (sie leben hoch!) alles gar nix ausgemacht hat. Denn die haben einfach kurzerhand das komplette Album zum Anhören auf ihre Website geknallt und einen Aufruf dazu gestartet: Dass nämlich jeder, der sich die Platte vorher unerlaubterweise und strafbar aus dem Internetz gesogen hat, doch bitte Buße tun und an die wohltätige »The Inspiration Corporation« spenden möge. Das hat Wilco den Leuten noch nicht einmal vollkommen gerechtfertigt befohlen, sondern lediglich "empfohlen". Und jetzt kommen Sie! So viel Appell an das Gewissen macht doch sprachlos, Kasbohm, nicht wahr? Da freut man sich doch! Die Welt ist wirklich sonnig an manchen Stellen.


Weil ich ja nicht so der Hipster mit dem heißesten Scheiß bin und dem Trend unfehlbar einige Meter hinterher hoppele, bemerkte ich die ganze Geschichte erst, als ich die Online-Ausgabe des Rolling Stone las. Derart neugierig gemacht, begab ich mich sofort auf die Wilco-Webpräsenz und ließ die neue, Ende Juni erscheinende Platte in voller Länge über meine furnierten Schreibtischboxen laufen. Und siehe – für ein paar Sekunden beschlich mich doch tatsächlich Verständnis für die Interneträuber. Denn so wahr ich hier tippe, ist das neue, schlicht als "(The Album)" betitelte Wilco-Werk ganz einfach so was von brillant und scheißschön, dass man sich sofort eine Bit-Torrent-Software laden will. Elf Stücke voller Anmut, Ideenreichtum, fabelhafter Instrumentierung und sommerlicher Wonne. Ich habe schwer mit mir gehadert, mich aber dann doch wegen meiner schändlichen Gedankengänge in die Ecke geschämt, den Erscheinungstermin in meinem Kalender dick rot angemalt und mich mit einer Erdnussflipstüte zum Warten hingesetzt. Am 26. Juni werde ich wieder aufstehen und mit Druckgeschwüren am Arsch in den Plattenladen meines Vertrauens gehen. Und allen anderen geneigten Menschen, ja auch Ihnen Kasbohm, empfehle ich das Gleiche. Sie müssen ja keine Flips essen. Chips oder Zwiebelringe gehen auch. Sowieso muss man diese Platte besitzen, denn auf dem Cover befindet sich ein Kamel mit einem drolligen Partyhütchen auf dem Kopf. Wenn das nichts ist!


Reinhören kann man in die neue Scheibe jetzt allerdings nicht mehr. Was indes nichts damit zu tun hat, dass Jeff Tweedy und seine Truppe die Gier auf das neue Album befeuern wollen, sondern einfach damit, dass das ehemalige Wilco-Mitglied Jay Bennett im Alter von gerade mal lächerlichen 45 Jahren verstorben ist. R.I.P. Dort, wo vorher der Stream lief, steht jetzt eine Nachricht der Kondolenz. Besonders erstaunlich: Erst vor einem Monat hat Bennett Jeff Tweedy noch wegen Vertragsbruches aufgrund unterlassener Urheberrechtszahlungen verklagt. Das ist jetzt alles nicht mehr nur einfach politisch korrekt, sondern sogar wirklich edel und gut. Vielleicht sollte man in Berlin mal Wilco-Platten verteilen. Obwohl... vielleicht ist es doch besser, wenn Frau Merkel weiterhin die Puhdys hört. 


Vergebung übrigens für meine lange Abstinenz, Kasbohm. Ein Hexenschuss ist kein Geschenk. Aber ich spreche über Farbe zu einem Blinden. Denn da kommen Sie erst noch hin, Sie Jungspund. 


Ihnen schöne Pfingsten. Möge der Geist der Völkerverständigung mit Ihnen sein. Herzlichst, Ihr oller Sack

VDL



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