Mittwoch, 21. April 2010

Keine Antwort auf haarige Fragen.




Liebes Orakel Kasbohm.


Während die Zeit immer schneller vergeht und die Geburtstage einem entgegenrauschen, wie ein entführter ICE der dritten Generation, glaubt man sich manchmal wenigstens mit der Schuhspitze auf dem Weg zu mehr Weisheit. Nur um regelmäßig erneut feststellen zu müssen, dass die Welt aus wenigen Tatsachen, aber viel mehr Fragen besteht. Nein Kasbohm, ich fange jetzt eben nicht mit so profanen Rätseln an wie "Warum sind Frauen so wie sie sind?" oder "Worin besteht der Sinn des Lebens?". Darauf haben Sie sicher gleich mehrere Antworten parat, studiert wie Sie sind. Aber es gibt tatsächlich weitaus Bedeutenderes. Elementare Fragen. Haarige Fragen.


Warum kann mir beispielsweise keiner erklären, wie man heutzutage Klamotten kaufen geht? Unlängst trollte ich mich durch das Erdgeschoss der hiesigen Herrenausstatterfiliale XY, um einen leichten Pullover mit V-Ausschnitt und ein schickes, dazu harmonierendes Hemd zu erwerben. Sofern man die eigenen Körpermaße kennt, kann das ja eigentlich nicht so schwierig sein wie Bruchrechnen oder Atomphysik (für mich ist beides gleichermaßen unbegreiflich, aber das nur am Rande). Der Pullover meiner Wahl sah schon in der Warenauslage reichlich schmal geschnitten aus, also schnappte ich mir vorsorglich ein Exemplar eine Nummer über meiner üblichen Konfektionsgröße. Dass die Wareneigenschaft "Slim-Fit" keinesfalls bedeutet, dass ein Kleidungsstück selbst bei großzügig ausgewählter Übergröße schon irgendwann passen wird, musste ich nach der Anprobe des dritten Exemplars akzeptieren. Eigentlich schade, dass mir die Farbe Rot nicht so gut steht, sonst hätte ich fortan eine Zweitkarriere als Teewurst-Testimonial bei der Firma Rügenwalder anstreben können. Eine gute halbe Stunde verging, bis ich auf einen ähnlichen Pullover stieß, der ausnahmsweise nicht für leptosome Andalusier vorgesehen war. Fehlte also nur noch das Hemd. Schöne Farben haben die ja da bei XY. Ich schwankte gerade noch zwischen einem changierenden Violett und einem blendenden Brombeerton, als ich unvermutet aus dem Off beraten wurde.


»Wollen Sie das Hemd in der Hose tragen oder darüber?« (Verwirrtes Glotzen meinerseits)

»Och... mal so, mal so. Nach Tagesform.«

»Das geht nicht. Entweder, oder.«

»Ich... äh... ich wusste nicht, dass ich das jetzt schon entscheiden muss.«

»Müssen Sie. Das Violette ist ein kurzes Hemd, das rutscht Ihnen immer wieder aus der Hose raus, weshalb es ganz leger ÜBER der Hose getragen wird.« (An dieser Stelle registrierte ich einen kritischen Blick der XY-Fachverkäuferin auf meinen Bauchansatz, aber vielleicht bin ich auch nur paranoid.) »Das Brombeerfarbene hier ist dann praktisch ein normales Hemd, aber das trägt man so nicht über der Hose.«

»Ach... nicht?«

»Nein, dafür gibt es ja extra die Kurzen.«

»Toll.«

»Welches hätten Sie denn nun gern?«

»Ich wollte mich eigentlich nur mal umschauen. Dankesehr.«


Aber nicht nur die Mode ist neuerdings unergründbaren Mysterien unterworfen, sondern auch die Musik! Hören Sie mal die neue Platte von Paul Weller, Kasbohm. Da sind allein schon fünf Stücke drauf, die ich nicht verstehe. Tempiwechsel aus der kalten Hose, hektisches Gitarrengeschrammel, sägende Synthesizerklänge, trötende Flöten, komisches Gebimmel. Rock'n'Roll hat doch eigentlich nichts mit gekünsteltem Gefräse gemein oder hat sich das mittlerweile genauso geändert, wie Hemdenlängen? Ich bin ja immer gern offen für Neues, aber warum muss sich der Weller Paul mit 52 auf meine Kosten nochmal neu erfinden? Warum attackiert der mich gezielt mit einem weiteren Konzeptalbum und vielen Lückenfüllern, anstatt profan 10 messerscharfe Songs auf meine Trommelfelle loszulassen, die mich im Herzen und im Schritt zu packen wissen? Wenigstens bietet "Wake up the Nation" noch 5 famose Lieder, für die man ihm mal wieder auf die solariumgerötete Schulter klopfen möchte. Trotzdem ergibt das noch kein Album. Und dann noch die Frisur. Ich hab mich ja mittlerweile dran gewöhnt, aber mal unter uns: diesen Haarschnitt begreift noch nicht einmal Simon Le Bon.


Noch schlimmer: Them Crooked Vultures. Da ich die einzelnen Mitglieder sehr schätze, würde ich die Band gerne mögen. Aber die Jungs machen es einem Einfaltspinsel wie mir alles Andere als leicht. Bei 12 von 13 Tracks sucht man vergeblich nach der Eins, was selbst das kläglichste Mitsummen oder synchron rhythmische Körperbetätigung zur Unmöglichkeit macht. Mit der Axt behauene Songstrukturen, die zwar hübsch brutal klingen, aber ein gordisches Wirrwarr offenbaren, dessen Sinn sich mir einfach nicht erschließen will. Eine Platte wie ein Sudoku der Killerstufe. Versteh ich nicht. Schade auch.


Ach, immer diese Fragen. Selbst im Sportbereich muss man sich wundern. Primoz Pikl, Jakob Fak und Maciej Kot: Warum haben gerade unter den internationalen Skispringern auffällig viele Athleten so komische Nachnamen? Reicht es nicht, dass die sich mit diesen schlotterigen Gummianzügen halsbrecherische Schanzen hinabstürzen müssen? Auf Skiern die so lang sind, wie ein Gelenkbus? Kann man sich da nicht wenigstens mal einen hübschen Künstlernamen zulegen? Sowas wie Evel Knievel? Gottlob ist der Schnee weg und die Fußball-WM steht vor der Tür. Da ist eine Blutgrätsche eine Blutgrätsche, wann Abseits ist weiß der Linienrichter und wenn der Ball im gegnerischen Netz zappelt, ruft man »Tor!« und gießt sich vorm Plasmafernseher eine Dose Holsten über den Kopf. Das ist einfach, das versteht jeder. Klare Regeln sind was Feines, Kasbohm.

Vielleicht ist das auch alles unerheblich. Irgendwann steht man sowieso im Trainingsanzug auf der Hamburger Straße und regelt den Verkehr. Oder arbeitet als Büromensch ab 60 auf dem Bau, während gelernte Poliere kurz vor der Rente zum Aktenlocher umgeschult werden, so wie die Tante Ursula das gerne hätte. Wer weiß das alles schon? Ich jedenfalls bin dann mal ahnungslos.


Mein Name ist Hase,

Ihr VDL



1 Kommentar:

Malte M hat gesagt…

"Wann abseits ist weiß der Linienrichter." q.e.d